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„Mitbewohner<br />

gesucht“<br />

<strong>Reader</strong><br />

zu studentischen<br />

Verbindungen in Tübingen<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong><br />

Argumente gegen das Hofieren<br />

reaktionärer Seilschaften


Vorwort<br />

Die Frage nach dem Verbindungswesen im universitären Leben stellt sich uns Tübinger<br />

Studierenden des <strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong>s in erster Linie <strong>als</strong> eine politische. Neben der Betrachtung der<br />

kulturellen und sozialen Aspekte dieses Phänomens, lohnt sich auch der Blick auf die juristischen<br />

Meinungen und Entscheidungen, die in der Öffentlichkeit teilweise kontrovers diskutiert und<br />

bewertet werden.<br />

Mit den Inhalten dieser Informationsblätter wollen wir <strong>zum</strong> einen darstellen, was das<br />

Verbindungswesen und im Besonderen rechtsextreme Burschenschaften zu einem allgemeinen<br />

politischen Thema macht, indem wir historische Hintergründe beleuchten und aktuelle<br />

gesellschaftliche Zusammenhänge herausstellen wollen. Zum anderen soll diese lose<br />

Aufklärungsschrift ein wenig Licht werfen auf das studentische Leben in den lokalen<br />

Verbindungen, von Pressestimmen und Stellungnahmen von öffentlicher Seite berichten, sowie<br />

erhellen wie das politisch aktive Leben in Tübingen mit diesem Thema umgeht.<br />

Ob es sich bei den Verbindungsstudenten tatsächlich um einen "Haufen von verhetzten,<br />

irregeleiteten, versoffenen, farbentragenden jungen Deutschen” handelt, wie Kurt Tucholsky einmal<br />

konstatierte, wollen wir nicht entscheiden. Dafür aber wollen wir den Tübinger Studierenden<br />

Informationen, Recherchen und Meinungen an die Hand geben, um für sich selbst die Frage nach<br />

der Sinnhaftigkeit und Bedeutung von studentischen Korporationen entscheiden zu können.<br />

Eine Frage aber, so finden wir, die von der allgemeinen Öffentlichkeit beantwortet werden sollte,<br />

ist, ob es sich bei den Verbindungen um zu fördernde Einrichtungen durch die öffentliche und<br />

offizielle Hand und insbesondere durch die universitären Entscheidungsträger handelt. In den<br />

folgenden Ausführungen zur Geschichtsauffassung verschiedener Verbindungen und der ihrer<br />

Dachverbände, <strong>zum</strong> Selbstverständnis studentischer Korporationen, den Artikeln zu Seilschaften<br />

und Elitenbildung, Männerbünden und Sozialverhalten, und nicht zuletzt wegen der geistigen Nähe<br />

zu Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus einzelner Burschenschaften, kommen wir zu einem<br />

klaren Nein.<br />

Den aktuellen Anlass, mit diesem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen, bildet nicht nur die<br />

scheinbar natürlich gewordene und unreflektierte Akzeptanz des Verbindungswesens. Wir wollen<br />

auch die Erfahrungen der letzten Jahre in Tübingen an der Uni und mit der Stadt besonders in<br />

Hinblick auf die Ereignisse am alljährlichen Dies Universitatis und dem Maieinsingen der Tübinger<br />

Korporierten kritisch zu Bewusstsein bringen. Wir hoffen, mit sachlichen und differenzierten<br />

Beiträgen zu einer breiten Auseinandersetzung mit diesem Thema an der Uni beizutragen und auch<br />

einen zentralen Punkt der Motivation zu dem Alternativen Dies Universitatis in Tübingen<br />

vermitteln zu können.<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong><br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

1


Inhalt:<br />

Chronologie der Anbiederung. Wie Rektor Eberhard Schaich sich für studentische<br />

Verbindungen einsetzt<br />

Rektor der konstruierten Sachzwänge oder <strong>Der</strong> Mythos von der eindeutigen<br />

Rechtslage im Falle des „Farbentragens“ an der Universität<br />

Herr Corpsstudent, vernetzen Sie sich! Studentische Verbindungen <strong>als</strong><br />

Karrierenetzwerke und reaktionäre Seilschaften<br />

Seite 3<br />

Seite 7<br />

Seite 15<br />

Kneipe, Convent, Kommers, Mensur – Sozialisierung und Erziehung in studentischen<br />

Verbindungen<br />

Seite 19<br />

Tucholsky: Deutsche Richter von 1940 Seite 22<br />

Konstruktion von Geschlecht und Sexismus im Verbindungswesen Seite 23<br />

Burschenschaften im 3. Reich - Am Beispiel der Deutschen Burschenschaft Seite 27<br />

Mut zur Lücke oder „Die Generation des Unbedingten“ wird verschwiegen Seite 29<br />

Verbindungen und Rechtsextremismus Seite 33<br />

Rechtsextreme Umtriebe: Die Straßburger Burschenschaften in Tübingen Seite 35<br />

Dachverbände einiger Tübinger Verbindungen Seite 39<br />

Liste Tübinger studentischer Verbindungen Seite 41<br />

Das kleine Korporierten - ABC Seite 43<br />

Pressespiegel<br />

Pressestimmen zu den Ereignissen am 1 Mai und dem Dies Universitatis der letzten<br />

Jahre<br />

Seite 45<br />

Senatsbeschluss vom 22. Februar 1961 über die studentischen Gemeinschaften Seite 53<br />

Redaktion:<br />

Autorenkollektiv <strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong><br />

c/o fsrvv / lista / [’solid]<br />

Wilhelmstraße 30 – 72074 Tübingen<br />

http://clubhausia.fsrvv.de – clubhausia@fsrvv.de<br />

4. erweiterte und korrigierte Auflage<br />

November 2005<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

2


Teil 1: Chronologie der Anbiederung<br />

Wie Rektor Eberhard Schaich sich für studentische Verbindungen einsetzt<br />

Privat kann jeder machen was er will. Das muss<br />

aber die öffentliche Hand nicht fördern. Aus<br />

diesem Blickwinkel soll in diesem Text die<br />

Unterstützung für studentische Verbindungen (die<br />

Frauen, z.T. Ausländer, z.T. Zivis ausschließen;<br />

z.T. rechtsextrem sind usw., usf. - <strong>als</strong>o nicht<br />

förderungswürdig!) durch den Rektor Eberhard<br />

Schaich seit seinem Amtsantritt dargestellt werden.<br />

Oktober 1998<br />

Rektor Ludwig wünscht sich, dass an der Universität<br />

Tübingen wieder ein Gefühl der Zusammengehörigkeit<br />

entsteht, „togetherness – wie die Amerikaner sagen<br />

würden“. Die Studenten sollen ihre Universität nicht<br />

nur <strong>als</strong> Arbeitsplatz verstehen, sondern sich mehr und<br />

mehr wieder mit ihr identifizieren.<br />

Oktober 1999: Dies Universitatis<br />

Vorausgehende Abmachung der studentischen<br />

Gruppen mit der Unileitung: Keine Verbindungsbänder,<br />

keine Provokationen.<br />

Am Dies: Schaichs Amtsantritt und Farbentragende<br />

Verbindungsstudenten am Dies Universitatis. Keine<br />

konsequente Durchsetzung des Senatsbeschlusses.<br />

Keine Nichtwiedereinladung wegen Farbentragens.<br />

Im Gegensatz dazu: <strong>Der</strong> PDS-Hochschulgruppe wird<br />

das Verteilen von verbindungskritischen Flugblättern<br />

untersagt. Die Nichtbeachtung hat den Ausschlussversuch<br />

im nächsten Jahr zur Folge. Es gibt allerdings<br />

keinen Senatsbeschluss <strong>zum</strong> Verteilen<br />

verbindungskritischer Flugblätter.<br />

Oktober 2000: Dies Universitatis<br />

Vorausgehende Abmachungen: In einem Brief an<br />

die beteiligten Gruppen <strong>zum</strong> Dies Universitatis heißt<br />

es: „Die studentischen Verbindungen möchten wir<br />

noch einmal darauf hinweisen, dass das Farbentragen<br />

auf dem Universitätsgelände laut Senatsbeschluss von<br />

1961 nicht gestattet ist.“ 1 Gleichzeitig wird von der<br />

Unileitung auch das Verteilen verbindungskritischer<br />

Flugblätter in den Rang der Provokationen<br />

aufgenommen, die nicht gestattet sind.<br />

Am Dies: Die katholische Verbindung Guestfalia<br />

provoziert durch Farbentragen einen Rauswurf und<br />

droht sofort mit einer Klage gegen das Coleurverbot. 2<br />

Die Guestfalia wird im nächsten Jahr trotzdem wieder<br />

eingeladen. Die anschließende Verbreitung<br />

verbindungskritischer Flugblätter hat<br />

Ausschlussdrohungen gegenüber linken Gruppen für<br />

den kommenden Dies zur Folge.<br />

Weitere Entwicklungen im Anschluss an den Dies<br />

Universitatis, Oktober 2000<br />

In der Folge entbrennt der Streit ums Farbentragen.<br />

Die Unileitung scheut die Klage der Guestfalen und<br />

geht auf deren Forderungen vorauseilend ein. Die<br />

Univerwaltung will den Senatsbeschluss von 1961 (an<br />

verbindungskritische Gruppen) nicht mehr ohne eigene<br />

Kommentierung herausgeben. Dafür lässt sie sich zwei<br />

Wochen Zeit. Ergebnis:<br />

„Allerdings weisen wir auf die seitherige Entwicklung<br />

der höchstrichterlichen Rechtssprechung <strong>zum</strong><br />

Farbentragen der Mitglieder studentischer<br />

Vereinigungen und zu der – inzwischen weiter<br />

ausgelegten – Meinungsfreiheit nach Art. 5 des<br />

Grundgesetzes hin.“ 3<br />

- Wieso weist die Univerwaltung drei Wochen vorher<br />

noch ausdrücklich auf das Verbot hin?<br />

- Wieso werden keine exakten Quellen benannt?<br />

1 Brief der zentralen Verwaltung vom 11.10.2000<br />

2 Siehe auch Teil 2: „Rektor der konstruierten<br />

Sachzwänge“<br />

3 Brief der zentralen Verwaltung vom 03.11.2000<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 1: „Chronologie der Anbiederung“ - Seite 1 von 8


- In einem der beiden Bundesverwaltungsgerichtsurteile<br />

<strong>zum</strong> Farbentragen heißt es im Leitsatz:<br />

„Das Farbentragen der Mitglieder studentischer<br />

Vereinigungen bedeutet in der Regel keine<br />

Meinungsäußerung im Sinne des GG Art 5.“ 4<br />

November 2000<br />

Rektor Schaich zieht eine Raumzusage für eine<br />

verbindungskritische Veranstaltung der PDS-<br />

Hochschulgruppe zurück. Auf dem Rechtsweg hat<br />

diese Entscheidung keinen Bestand. Nach einer<br />

Entscheidung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen<br />

kann der Vortrag einer anerkannten Expertin vom<br />

Projekt „Konservatismus und Wissenschaft“<br />

stattfinden.<br />

Januar 2001<br />

Nachbesprechung des letzten Dies Universitatis.<br />

Korporierte Studenten erscheinen in vollem Wichs –<br />

ohne Konsequenzen.<br />

4 BVerwGE 7, 125-140 (Freiburger Farbenstreit).<br />

Siehe auch Teil 2: „Rektor der konstruierten<br />

Sachzwänge“<br />

Juni 2001: Rechtliche Argumentationen<br />

Besprechung mit der Univerwaltung <strong>zum</strong> Thema<br />

Farbentragen. Sie führt einen Gerichtsbeschluss von<br />

1958 (Freiburger Farbenstreit) an, nachdem der<br />

Senatsbeschluss von 1961 so nie hätte gefasst werden<br />

dürfen. Das Tragen von Mützen und anderen<br />

Utensilien bleibt verboten.<br />

Rechtliche Gegenargumentation der VerbindungskritikerInnen:<br />

Nach dem Urteil im Freiburger Farbenstreit von 1958<br />

ist klar: Farbentragen ist normalerweise keine<br />

Meinungsäußerung. Das besondere Verhältnis<br />

zwischen Uni und Studierenden ermöglicht Beschlüsse<br />

wie den Senatsbeschluss von 1961. Verboten wurde<br />

vom BverwG die Exmatrikulation <strong>als</strong> Sanktionsmittel. 5<br />

Ergebnis: Im Verlauf des Gespräches fordert Schaich<br />

die Vertreter der farbentragenden Verbindungen auf,<br />

am Dies mit Coleurbändel zu erscheinen. <strong>Der</strong> diktierte<br />

Kompromiss besagt:<br />

- Farben dürfen getragen werden<br />

Andere Utensilien (Mützen, Bierzipfel, Waffen) sind<br />

verboten<br />

- Verbindungskritische Inhalte dürfen nicht verteilt<br />

werden<br />

Auch Uni-Rektor Eberhard Schaich wurde im Gedränge gesichtet. (Bild: E. Sommer)<br />

5 Siehe auch Teil 2 „Rektor der konstruierten<br />

Sachzwänge“<br />

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Teil 1: „Chronologie der Anbiederung“ - Seite 2 von 8


Foto 1 - Ein Transparent an einem leeren Stand im Eingangsbereich warb für den Alternativmarkt gleich<br />

(http://www.cityinfonetz.de/das.magazin/2002/42/artikel4.html)<br />

Plakat <strong>zum</strong> Alternativen Dies Universitatis - 2002 im Clubhaus<br />

Oktober 2001: Dies Universitatis<br />

Als Konsequenz der neuen Politik der<br />

Universitätsleitung gegenüber den studentischen<br />

Verbindungen, gibt es eine Kundgebung gegen die<br />

Wiederzulassung von Coleurbändern an der Uni. Die<br />

Mobilisierung und der Ablauf der Kundgebung vor der<br />

Neuen Aula verläuft nicht ohne Beeinträchtigungen<br />

durch die Uni-Verwaltung:<br />

- Bitte von Herrn Schaich an Herrn Raaf (Leiter des<br />

Studentenwerks), die Flugblätter und Plakate zur<br />

angemeldeten Kundgebung aus den Mensen und<br />

Cafeterien zu entfernen.<br />

- Mitten auf dem angemeldeten Kundgebungsplatz<br />

stand eine Würstchenbude<br />

Trotzdem: Wieder werden verbindungskritische<br />

Studenten im Verlauf des Dies mit „rechtlichen<br />

Konsequenzen“ bedroht. Verbindungsstudenten halten<br />

sich erneut nicht an den verordneten Kompromiss,<br />

erscheinen mit Mützen und vereinzelt auch mit<br />

Waffen.<br />

WS 2001/2002: Veröffentlichung des Rechenschaftsberichts<br />

2000/2001<br />

<strong>Der</strong> Beitrag der Studierenden zu ihrer Situation, der <strong>als</strong><br />

völlig unverändert angekündigt wird, wird auf Geheiß<br />

des Rektors verfälscht: Bei der Kritik an Studentischen<br />

Verbindungen wird der Text verändert, ohne den<br />

Eingriff zu kennzeichnen.<br />

Frühjahr 2002: Semesteranfangsgespräch mit<br />

studentischen Gruppen<br />

Trotz der vorausgegangenen Absprachen nur das<br />

Tragen der Couleurbändel zuzulassen, erscheinen<br />

Korporierte in “vollem Wichs”. Das hat keine<br />

Konsequenzen.<br />

1. Juni 2002: 100. Stiftungstag der Cherusker im<br />

Festsaal der Neuen Aula<br />

“Als Hausherr auf dem Tübinger Campus machte<br />

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Teil 1: „Chronologie der Anbiederung“ - Seite 3 von 8


Schaich es möglich, dass die Cherusker, von Anfang<br />

an eine Farben tragende aber nicht schlagende<br />

Verbindung, im Audi Max der Neuen Aula ihren<br />

Festakt abhalten konnte.” 6 Teilnehmer trugen Farben<br />

und Mützen. Rektor Schaich würdigte die<br />

erzkatholische Verbindung in einem Grußwort. Diese<br />

möchte dem universitären und akademischen Leben in<br />

Tübingen “ein katholisches Profil” 7 verleihen. Rektor<br />

Schaich begründet gegenüber einem der Verfasser<br />

seinen Auftritt für die katholische Verbindung mit<br />

einer erheblichen Spende an den Universitätsbund.<br />

Oktober 2002: Dies Universitatis<br />

Aus Protest gegen die Klüngeleien von Unileitung und<br />

Verbindungen findet der erste alternative Dies<br />

Universitatis (AlDi) im Clubhaus statt. Die<br />

Farbentragenden Verbindungen haben die Neue Aula<br />

für sich in Beschlag genommen. <strong>Der</strong> Wunsch des<br />

ehemaligen Rektors Ludwig nach<br />

Zusammengehörigkeit ist durch die Hofierung der<br />

Verbindungen zu Lasten alternativer und kritischer<br />

Gruppen in ihr Gegenteil umgeschlagen.<br />

6 Reutlinger Generalanzeiger vom 03.06.02<br />

7 Schwäbisches Tagblatt vom 03.06.02<br />

Mai 2003: Festakt des Arbeitskreises<br />

Verbindungen in der Neuen Aula<br />

Eine gemeinsame Pressemitteilung von Uni und alten<br />

Herren des “Arbeitskreises Tübinger Verbindungen”<br />

informiert darüber, ein angeblich bisher gespanntes<br />

Verhältnis zu entspannen und einen neuen Anfang für<br />

die weitere Zusammenarbeit vollziehen zu wollen.<br />

Dafür sollen Oberbürgermeisterin Russ-Scherer und<br />

Unirektor Schaich auf einer Festveranstaltung<br />

zahlreicher Korporationen in der Neuen Aula<br />

sprechen. Russ-Scherer sagt ihren Auftritt nach<br />

Protesten ab, Schaich spricht sein Grußwort vor<br />

farbentragenden Korporierten und hört sich im<br />

Anschluss zusammen mit <strong>ca</strong>. 300 teilweise<br />

uniformierten Korporierten einen Vortrag über die<br />

Bedeutung von Eliten (Titel: Wissen ist Macht) an.<br />

Trotz öffentlicher Ankündigung bleibt dies eine<br />

geschlossene Veranstaltung – auch für manche<br />

Journalisten. Im Anschluss freuen sich die<br />

Verbindungen und verkünden: So etwas gab es nicht<br />

mehr seit 1932. 8<br />

Oktober 2003: Alternativer Dies<br />

<strong>Der</strong> ALDI findet <strong>zum</strong> ersten Mal in der Mensa statt<br />

und hat sich <strong>als</strong> regelmäßige Protestveranstaltung<br />

gegenüber der Bevorzugung von Verbindungen durch<br />

die Uni-Verwaltung etabliert.<br />

Dezember 2003: Nachbesprechung <strong>zum</strong> dies<br />

universitatis mit allen universitären Gruppen<br />

Rektor Schaich tut seinen Ärger über die Existenz des<br />

ALDIs kund. Dieser sei einer Universität unwürdig.<br />

Schon der Name "Aldi" sei der Universität unwürdig.<br />

Und das meint er ernst! Die kritische<br />

Auseinandersetzung mit seiner bisherigen Hofierung<br />

der studentischen Verbindungen durch eine<br />

Alternativveranstaltung ist ihm zuviel unabhängiges<br />

Handeln. <strong>Der</strong> ALDI wird ihm zu groß und zu etabliert.<br />

Er fährt eine neue Strategie: Wenn es nochmal einen<br />

ALDI gibt ist er beleidigt und macht keinen offiziellen<br />

Dies mehr. Das ist Disziplinierung durch Sippenhaft.<br />

Alle universitären (musische, kulturelle etc.) Gruppen<br />

sollen dafür gestraft werden, dass sich einige politische<br />

Gruppen kritisch für eine Verbindungskritik und einen<br />

ALDI engagieren. Alle sollen in die uniforme<br />

Corporate Identity nach seinen Vorstellungen gepresst<br />

werden. <strong>Der</strong> Druck soll auf die kritischen Gruppen<br />

erhöht werden. Sie sollen von der Opferrolle (Kritik<br />

wird unterdrückt) in eine Täterrolle gedrängt werden<br />

8 Schwäbisches Tagblatt vom 5.5.2003<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 1: „Chronologie der Anbiederung“ - Seite 4 von 8


Die Nürnberger Burschenschaft Fäkalia, am 16.12.2001 auf dem Nürnberger Christkindlsmarkt<br />

und Schuld daran sein, wenn die universitären<br />

Gruppen ihre Präsentationsmöglichkeit zu<br />

Semesteranfang verlieren. Schaich ist eine<br />

Veranstaltung ohne Verbindungskritik wichtiger <strong>als</strong><br />

die Belange aller studentischen Gruppen.<br />

Sommersemester 2004: Die Drohung zeigt<br />

Wirkung! Kompromissangebot an Schaich<br />

Viele Fachschaften und andere kritische Unigruppen<br />

machen sich Sorgen um den Fortbestand des dies<br />

universitatis, da die studentischen Gruppen einen<br />

Semesteranfangstermin brauchen, an dem sie sich<br />

darstellen können. Die Fachschaftsräte-VV trägt über<br />

die Univerwaltung ein Kompromissangebot an<br />

Schaich heran: Es soll wieder einen Dies geben. Mit<br />

Verbindungen und den verbindungskritischen Gruppen<br />

zusammen aber ohne das Farbentragen. Damit die<br />

Universität wegen eines Farbentragenverbots für<br />

diesen Dies keinen rechtlichen Drohungen durch die<br />

Verbindungen ausgesetzt ist, soll der Dies in der<br />

Mensa und durch die Fachschaften und universitären<br />

Gruppen selbstverwaltet stattfinden. Schaich geht auf<br />

diesen Kompromiss gar nicht erst ein und beginnt ohne<br />

weitere Gespräche mit der Organisation 'seines' dies<br />

universitatis.<br />

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Teil 1: „Chronologie der Anbiederung“ - Seite 5 von 8


Sommersemester 2004 Beschwerden beim Rektorat<br />

über sexistische Verbindungswerbung<br />

Verbindungsstudentische Partywerbung zeichnet sich<br />

schon seit Jahren durch das Abbilden "allzeit bereiter"<br />

wieblicher Geschlechtsmerkmale aus. Die<br />

verbindungsstudentische Reduktion von wieblichen<br />

Menschen auf die Objekte "Hure" oder "Hausfrau und<br />

Mutter" kommt hier deutlich <strong>zum</strong> Ausdruck. Auch im<br />

Sommersemester 2004 beschweren sich Studentinnen<br />

beim Rektorat über die Belästigung durch das<br />

"dummgeile" Frauenbild, dass sich einem mittags in<br />

der Mensa aus verbingunsstudentischer Partywerbung<br />

entgegenräkelt.<br />

August 2004: Arbeitskreis Alternativer Dies nimmt<br />

seine Arbeit auf<br />

Durch die kompromisslose Haltung Schaichs in Bezug<br />

auf den dies universitatis 2004 entsteht ein neuer <strong>AK</strong><br />

Alternativer Dies, der mit den Planungen für Oktober<br />

2004 beginnt, da auch Schaich die Einladungen für<br />

den üblichen Dies schon verschickt hat.<br />

September 2004: Schaich unterdrückt die<br />

Raumfindung für einen ALDI<br />

Rektor Schaich verlässt sich nicht mehr nur auf seine<br />

Drohungen (Einstellung des Dies im Falle der<br />

Neuauflage eines ALDI) sondern weist zunächst den<br />

Leiter des Studentenwerks (Herrn Raaf) dezidiert an<br />

uns keine Räume mehr in der Mensa zur Verfügung zu<br />

stellen. Des Weiteren lehnt er auch die Flure des<br />

Kupferbaus <strong>als</strong> Veranstaltungsort für einen<br />

Alternativen Markt der "unbegrenzten Möglichkeiten"<br />

ab. An geeigneten zentralen Räumen bleibt so einzig<br />

das Clubhaus übrig.<br />

Die Resonanz auf unser Einladungschreiben ist groß;<br />

der <strong>AK</strong> ALDI bekommt viel Wertschätzung für seine<br />

Arbeit, jedoch sind besonders die eingeladenen<br />

Körperschaften der Uni sehr zurückhaltend was ein<br />

öffentliches Bekenntnis für den ALDI angeht - auch<br />

das ein Resultat einer autoritär geführten Universität<br />

deren Rektor seit der letzten Novellierung des UG<br />

über umfangreichste Kompetenzen verfügt. Die Angst<br />

vor dem Rektor scheint umzugehen an der Uni.<br />

Oktober 2004: Raumverbot durch Schaich für<br />

einen ALDI im Clubhaus<br />

Drei Tage vor dem ALDI (am 18.10.) erreicht den <strong>AK</strong><br />

Alternativer Dies das Schreiben der zentralen<br />

Verwaltung dass dem <strong>AK</strong> die Benutzung des<br />

Clubhauses untersagt. Als es klar war, dass der <strong>AK</strong><br />

diese Unterdrückung der Meinungsvielfalt an der Uni<br />

nicht hinnehmen würde, wurde uns mündlich<br />

signalisiert, dass trotz der Raumabsagen gegen den<br />

ALDI nicht eingeschritten würde um diesen zu<br />

verhindern (z.B. mit der Polizei). Unserem Bestehen<br />

auf einer schriftlichen Genehmigung wurde nicht<br />

nachgekommen. Rektor Schaich hat wieder einmal<br />

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Teil 1: „Chronologie der Anbiederung“ - Seite 6 von 8


extreme Kleingeisterei bewiesen. Meinungsvielfalt<br />

wird durch die Nichtgenehmigung des ALDI 2004<br />

illegalisiert. Kritik an den studentischen Verbindungen<br />

wird von ihrem Gönner, dem aktuellen Rektor immer<br />

radikaler unterdrückt <strong>als</strong> dies in den vergangenen<br />

Jahren der Fall war.<br />

Die Drohungen und Schikanen für<br />

verbindungskritische Gruppen auf dem offiziellen dies<br />

universitatis der Jahre 1999-2001 steigern sich zu<br />

Schikanen und Verbotsversuchen gegenüber dem<br />

ALDI 2004. Meinungsäußerungen wurden und werden<br />

hier behindert und es wird versucht, sie zu<br />

unterdrücken - auch <strong>zum</strong> Leidwesen der am ALDI<br />

beteiligten musischen und kulturellen Gruppen.<br />

ALDI und dies universitatis 2004<br />

Trotz des offiziellen Verbots präsentiert sich der <strong>AK</strong><br />

Alternativer Dies zusammen mit 17 anderen<br />

musischen, politischen und kulturellen Gruppen, von<br />

der Jazz Combo der Universität über den Verein<br />

arabischer Studenten und Akademiker bis zur<br />

UNICEF-Studentengruppe am ALDI 2004. Das<br />

Clubhaus ist schon am Nachmittag, auch bei der<br />

öffentlichen Pressekonferenz des <strong>AK</strong> ALDI gut<br />

besucht. Beim anschließenden abendlichen<br />

Clubhausfest des Brecht-Bau-Plenums klingt der<br />

ALDI in einer Riesenparty aus.<br />

Beim offiziellen dies universitatis kommt es mal<br />

wieder <strong>zum</strong> Eklat, weil die katholische Verbindung<br />

Alamannia "Pin Ups" an die Wände der "heiligen<br />

Hallen" projeziert.<br />

Weibliche Besucher des offiziellen dies universitatis<br />

fühlen sich durch die großformatigen, sexistischen<br />

Projektionen gestört. <strong>Der</strong> neue Kanzler Rothfuß muss<br />

einschreiten und mit den Verbindungsstudenten über<br />

das Abschalten des Projektors diskutieren.<br />

Semesteranfangsgespräch der studentischen<br />

Gruppen mit Rektor Schaich WS 2004/2005<br />

Auf die Frage, ob er die Verbindung Alamannia in der<br />

Öffentlichkeit aufgrund des "Pin Up-Eklats" kritisiere,<br />

antwortet Schaich: "Nein". Er werde vielleicht alte<br />

Herren bitten, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht<br />

mehr vorkommt. Den ALDI, so Schaich willl er jedoch<br />

auch weiterhin versuchen zu unterbinden. Trotz<br />

Verbots erscheinen einige Verbindungsstudenten auch<br />

mit Mütze.<br />

Bildnachweise:<br />

1: http://www.cityinfonetz.de/das.magazin/2002/42/artikel4_bild2.html<br />

2: http://www.cityinfonetz.de/das.magazin/2002/42/artikel4_bild3.html<br />

3: http://de.indymedia.org:8080/2001/12/12571.shtml<br />

übrigen: eigene Bilder<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 1: „Chronologie der Anbiederung“ - Seite 7 von 8


Infostände und Kaffee auf dem ALDI 2004<br />

Nach dem Abschlusskonzert des ALDI 2004<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 1: „Chronologie der Anbiederung“ - Seite 8 von 8


Teil 2: Rektor der konstruierten Sachzwänge<br />

oder <strong>Der</strong> Mythos von der eindeutigen Rechtslage im Falle des<br />

„Farbentragens“ an der Universität<br />

Vorgeschichte des Konflikts um das Farbentragen<br />

Es begann mit einem Eklat: Am Dies Universitatis<br />

2000 trugen Vertreter der katholischen Verbindung<br />

Guestfalia entgegen eines seit 1961 bestehenden<br />

Senatsbeschlusses Farben beim „Markt der<br />

studentischen Gruppen“ in der neuen Aula. Damit<br />

„provozierten sie [...], dass sie Rektor Eberhard<br />

Schaich vom Platz verwies.“ 1 Ein beabsichtigter<br />

Eklat! Sofort drohten die der Veranstaltung<br />

verwiesenen Verbindungsmitglieder, die sich bewusst<br />

gegen den Wunsch der Universität, am „Dies<br />

Universitatis“ keine Farben zu tragen, gewendet<br />

hatten, mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht.<br />

Vermutlich wurde auch durch Alte Herren in der<br />

folgenden Zeit Druck auf die Universitätsleitung<br />

ausgeübt. 2 Das überraschende Ergebnis:<br />

„Entsprechend dem Ergebnis einer internen<br />

juristischen Prüfung könne das Farbenverbot in der<br />

Tat nicht aufrecht erhalten werden.“ 3<br />

Peter Unterberg, ein Vertreter der Fachschaftsräte-VV,<br />

beschrieb das damalige weitere Vorgehen der<br />

Universitätsleistung in einem Leserbrief: 4<br />

„Zunächst wurde den studentischen Gruppen im Juni<br />

[2001, in der Vorbereitungsphase für den<br />

darauffolgenden Dies Universitatis. Anm. d. Verf.]<br />

mitgeteilt, dass das Verbot des Farbentragens an der<br />

Universität nun, entgegen dem Beschluss des Senats<br />

1 Schwäbisches Tagblatt vom 05.07.01<br />

2 <strong>Der</strong> Verfasser befand sich mit einer kleinen Gruppe<br />

von FachschaftlerInnen in der Zeit nach dem „Eklat“<br />

zu einem Gespräch im Rektorat von dem der Rektor<br />

durch ein Telefonat weggeholt wurde. Nach späterer<br />

Auskunft des Rektors handelte es sich dabei um einen<br />

Herrn Schaufler (vermutlich Hermann Schaufler, alter<br />

Herr bei den Cheruskern), der sich zu den Vorgängen<br />

am Dies Universitatis 2000 äußerte.<br />

3 Schwäbisches Tagblatt vom 05.07.01<br />

4 Schwäbisches Tagblatt vom 27.10.01<br />

von 1961, von der Universitätsleitung aufgehoben<br />

worden sei. Da das Verbot des Farbentragens <strong>als</strong> Akt<br />

der freien Meinungsäußerung nach Artikel 5 des<br />

Grundgesetzes zu werten sei, könne das Verbot nicht<br />

länger aufrecht erhalten werden.“<br />

<strong>Der</strong> Senatsbeschluss von 1961<br />

Auch an anderer Stelle ließ die Universitätsleitung<br />

verlauten, der Senatsbeschluss von 1961 hätte so gar<br />

nicht getroffen werden dürfen, denn er wäre<br />

rechtswidrig. Im Senatsbeschluss vom 22. Februar<br />

1961 regelt die Universität ihren Umgang mit<br />

studentischen Gruppen. Aufgrund einer Initiative der<br />

Westdeutschen Rektorenkonferenz formulierte der<br />

Senat der Universität Tübingen schon 1949 einen<br />

Senatsbeschluss, der eine Wiederetablierung<br />

studentischer Verbindungen <strong>als</strong> dominierende<br />

Sozialisationsagentur in der universitären Kultur<br />

einschränken sollte. Aus der Analyse der Rolle der<br />

studentischen Verbindungen bei der Etablierung und<br />

Durchdringung der akademischen Welt der Weimarer<br />

Republik mit reaktionären bis nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Werten und Ideen entstand das Bedürfnis, die<br />

universitäre Dominanz des Verbindungswesens im<br />

symbolischen Bereich einzuschränken. <strong>Der</strong> Beschluss<br />

von 1949 wurde zweimal umgearbeitet und<br />

abgemildert und fand seine Endfassung 1961. Dort<br />

heißt es z.B. unter Punkt 3:<br />

„Für einen besonderen studentischen Ehrbegriff und<br />

alle daraus hergeleiteten Auffassungen und<br />

Handlungen ist in unserer Zeit kein Raum mehr.“<br />

Eine Anspielung auf alle persönlichkeitsmanipulierenden<br />

Unterordnungsrituale<br />

studentischer Verbindungen wie Trinkregeln oder die<br />

Bestimmungsmensur schlagender Verbindungen.<br />

Unter Punkt 2 formulierte der Senat 1961 nach einem<br />

Hinweis darauf, dass alle studentischen Gruppen die<br />

freiheitlich, demokratische Grundordnung zu achten<br />

hätten:<br />

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Teil 2: „Rektor der konstruierten Sachzwänge“ - Seite 1 von 4


Mitglieder der Studentenverbindung AV Cheruskia zu Tübingen posen auf dem<br />

Tübinger Marktplatz<br />

„Toleranz und geistige Aufgeschlossenheit, besonders<br />

gegenüber Angehörigen anderer Nationen, anderer<br />

Rassen und anderer Bekenntnisse, sind<br />

selbstverständliches Gebot.“<br />

Ein Gebot, das z.B. von konfessionsgebundenen<br />

Korporationen oder Burschenschaften durch ihre<br />

Zugangsreglementierungen nicht eingehalten wird. Die<br />

in Bezug auf studentische Verbindungen wichtigste<br />

Verhaltensregel, die der Senat der Universität<br />

Tübingen für studentische Gruppen vorsieht, ist in<br />

Punkt 5 ausformuliert:<br />

„Farben werden in der Universität, ihren Kliniken,<br />

Instituten und Seminaren sowie auf dem Gelände der<br />

Universität (einschliesslich des Schollplatzes) nicht<br />

getragen; gleiches gilt für gemeinsame<br />

Veranstaltungen der Universität und der<br />

Studentenschaft.“<br />

Unter Punkt 8 sind die Konsequenzen ausformuliert,<br />

die die Universität für die Missachtung ihrer<br />

Verhaltensregeln vorgesehen hat:<br />

„Die Universität wird solchen Gemeinschaften, die<br />

nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer<br />

Mitglieder gegen diese Grundsätze verstoßen, ihre<br />

Missbilligung aussprechen und in schweren Fällen ihr<br />

Vertrauen entziehen. Hierüber entscheidet der Kleine<br />

Senat. <strong>Der</strong> Entzug des<br />

Vertrauens muss bekannt<br />

gemacht werden.“<br />

Rechtslage<br />

In Bezug auf Verbote des<br />

Farbentragens an den<br />

Universitäten, die in den<br />

Anfangsjahren der Bundesrepublik<br />

an fast allen<br />

Universitäten erlassen worden<br />

sind, gibt es zwei<br />

höchstrichterliche<br />

Urteilssprüche des Bundesverwaltungsgerichts.<br />

In beiden<br />

Fällen ging es um eine Klage<br />

gegen die Sanktionen, die eine<br />

Universität für das Tragen von<br />

Farben in der gesamten<br />

Öffentlichkeit vorsah. Hierbei<br />

rückt deutlich in den<br />

Vordergrund, dass die<br />

betroffenen Universitäten im<br />

Gegensatz zur Tübinger<br />

Universität, den Raum, für den<br />

ihre Verhaltensregeln gelten<br />

sollten, über den universitären<br />

Raum hinaus definierten. So wird im ersten Urteil <strong>zum</strong><br />

studentischen Farbentragen, dem sogenannten<br />

„Freiburger Farbenstreit“ vom 20. Juni 1958, im<br />

„Tatbestand“ festgestellt:<br />

„Die beklagte Universität hat in den Richtlinien über<br />

das studentische Gemeinschaftsleben vom 9.<br />

November 1949 [...] das Farbentragen der Studenten<br />

in der Öffentlichkeit für unzulässig erklärt und<br />

Verstöße dagegen mit strenger disziplinarischer<br />

Ahndung sowie dem Verbot der betreffenden<br />

studentischen Vereinigung bedroht.“ 5<br />

Es besteht <strong>als</strong>o ein deutlicher Unterschied <strong>zum</strong><br />

Tübinger Senatsbeschluss, der den Geltungsbereich<br />

seines Verbotes klar auf den universitären Bereich<br />

einschränkt (siehe oben). Die Universität Freiburg<br />

signalisierte sogar, „dass sie weitere Übertretungen<br />

des Verbots gegebenenfalls mit dem Ausschluss vom<br />

Studium zu ahnden gewillt ist“.<br />

Die zweite höchstrichterliche Entscheidung in Bezug<br />

auf das Farbentragen ist ein Bundesverwaltungsgerichtsurteil<br />

vom 11. November 1966. 6 Auch hier<br />

geht es um den gleichen Sachverhalt: Auch die<br />

Universität Frankfurt hatte ihre Kriterien <strong>zum</strong> Umgang<br />

mit studentischen Gruppen durch Senatsbeschlüsse<br />

5 BVerwGE 7, 125-140<br />

6 BVerwGE 25, 272-277<br />

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Teil 2: „Rektor der konstruierten Sachzwänge“ - Seite 2 von 4


ergänzt, „wonach das Farbentragen nur bei<br />

geschlossenen Veranstaltungen im Verbindungsraum<br />

gestattet [...] sei“. Eine klare Vorschrift für das<br />

Verhalten auch außerhalb des Universitätsgeländes. Im<br />

Unterschied zur Freiburger Universität handelte die<br />

Frankfurter Uni und strich eine studentische<br />

Verbindung wegen Zuwiderhandlung aus ihrem<br />

Verzeichnis der universitären Gruppen.<br />

In beiden Urteilen verloren die beklagten Universitäten<br />

ihre Prozesse. Im Freiburger Farbenstreit kam es zu<br />

dem differenzierten Leitsatz:<br />

„1. Das Farbentragen der Mitglieder studentischer<br />

Vereinigungen bedeutet in der Regel keine<br />

Meinungsäußerung im Sinne des GG Art 5.<br />

2. <strong>Der</strong> Ausschluss von der Universität wegen einer<br />

Übertretung des Verbotes des Farbentragens verletzt<br />

Rektor Schaich beim Dies Universitatis 2001<br />

das durch GG Art 12 geschützte Recht, die<br />

Ausbildungsstätte frei zu wählen.“<br />

Auch im Frankfurter Urteil wird die Sanktion der<br />

Universität durch das Bundesverwaltungsgericht rügt:<br />

„Einer studentischen Vereinigung darf die Eintragung<br />

in die bei der Universität Frankfurt nach Maßgabe<br />

der Zulassungsordnung von 1948/1951/1953 geführte<br />

Liste nicht deshalb verweigert werden, weil sie nicht<br />

auf Farbentragen und Mensuren verzichten will.“<br />

<strong>Der</strong> Tübinger Senatsbeschluss scheint dadurch nicht in<br />

Frage gestellt. Im Urteil <strong>zum</strong> Freiburger Farbenstreit<br />

findet sich sogar ein Absatz, der auf die Legitimität<br />

solcher Regelungen hinweist, selbst wenn sie dazu<br />

führen, dass Grundrechte nicht in Anspruch<br />

genommen werden können:<br />

„Nach der ständigen Rechtssprechung des<br />

Bundesverwaltungsgerichts gehört es <strong>zum</strong> Inbegriff<br />

aller Grundrechte, dass sie nicht in Anspruch<br />

genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den<br />

Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter<br />

gefährdet werden. Zu diesen Rechtsgütern wird man<br />

auch die für den wissenschaftlichen Betrieb einer<br />

Hochschule und die ordnungsgemäße Ausbildung der<br />

Studenten erforderliche Atmosphäre der<br />

Ausgeglichenheit sozialer Gegensätze rechnen<br />

können, da durch Unfrieden und Spannungen unter<br />

der Studentenschaft die Heranbildung akademischen<br />

Nachwuchses gefährdet werden könnte.“<br />

Schlussfolgerungen<br />

Dass das Farbentragen durch den GG Art 5 (freie<br />

Meinungsäußerung) geschützt wäre, ist ein Mythos,<br />

der sich beständig hält. Anscheinend sogar bei der<br />

Tübinger Universitätsleitung. Das<br />

Bundesverwaltungsgericht hat es in seinen<br />

Urteilen nicht zugelassen, dass die Universität<br />

sanktionsfähige Verhaltenskodices erstellen kann,<br />

die sich auf das Verhalten außerhalb der<br />

Universität beziehen und denen sie z.B. durch<br />

autoritäre und überzogene Maßnahmen wie den<br />

Rauswurf aus der Universität Nachdruck verleihen<br />

kann. In beiden Fällen reichten die universitären<br />

Verhaltensvorschriften deutlich über den<br />

Organisationsrahmen der Universität in den<br />

privaten Bereich des Einzelnen (Farbentragen<br />

wurde von den beklagten Universitäten überall in<br />

der Öffentlichkeit untersagt) hinein. Dies trifft für<br />

den Tübinger Beschluss nicht zu. Deutlich wird<br />

auch, dass das Verwaltungsgericht die Diskussion<br />

um das Farbentragen zu dem macht was sie<br />

eigentlich ist: Eine sozialpolitische Diskussion<br />

darüber, ob die Universität Gruppen fördern will,<br />

die Anderskonfessionelle, Frauen, AusländerInnen<br />

etc. ausgrenzen. Bei denen es z.T. rechtsextreme<br />

Tendenzen gibt und die ein elitäres<br />

Wissenschaftsverständnis haben, das sich gegen eine<br />

Wissensgesellschaft richtet. Die Sachzwänge, die<br />

Rektor Eberhard Schaich konstruiert und <strong>als</strong><br />

„eindeutige Rechtslage“ ausgibt, helfen ihm den<br />

Senatsbeschluss von 1961, der eine um Ausgleich<br />

bemühte sozialpolitische Profilbildung und<br />

Positionierung beinhaltet, ohne politische<br />

Argumentationen zu liquidieren. Es hilft ihm dabei,<br />

sich für verstaubte Verbindungen einzusetzen ohne<br />

erklären zu müssen, warum er sie in besonderem Maße<br />

zur Schau stellen und fördern möchte.<br />

Nach der vorhandenen Rechtslage verhält sich<br />

Eberhard Schaich f<strong>als</strong>ch. Er müsste nach dem<br />

Senatsbeschluss von 1961 den Farbenträgern „die<br />

Missbilligung“ der Universität aussprechen. <strong>Der</strong> Senat<br />

könnte den Verbindungen, die den Willen der<br />

Universität ignorieren, über einen Beschluss „das<br />

Vertrauen entziehen“ und diese Maßnahme<br />

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Teil 2: „Rektor der konstruierten Sachzwänge“ - Seite 3 von 4


ekanntgeben. Wie das Aussehen könnte, macht das<br />

Verhalten der Universitätsleitung gegenüber<br />

VerbindungsgegnerInnen deutlich: VerbindungsgegnerInnen<br />

wurde unter Androhung einer Ausladung<br />

für den jeweils nächsten Dies Universitatis seit 2001<br />

verboten verbindungskritische Flugblätter zu verteilen.<br />

Die Konsequenz dieses Vertrauensentzugs seitens der<br />

Universität gegenüber verbindungskritischen Gruppen<br />

ist deren AlDi (Alternativer Dies). Anstatt rechtliche<br />

Scheinargumentationen zu konstruieren, müsste der<br />

Rektor die Beziehungen zu den studentischen<br />

Verbindungen auf Eis legen.<br />

Motive des Rektors<br />

Über die Motive des Rektors lassen sich leider nur<br />

Vermutungen anstellen. Die Zugehörigkeit zu einem<br />

„studentischen Lebensbund“ oder eine Aktivität <strong>als</strong><br />

„alter Herr“ lassen sich, wie in so vielen Fällen, nicht<br />

nachprüfen. Eine Verwurzelung in einem sozialen<br />

Milieu, das durchdrungen ist von konfessionellen<br />

Verbindungen, ist durch seine CDU-Mitgliedschaft<br />

vermutbar. Plausibel ist auch folgende Erklärung:<br />

Jenes symbolische Kapital, das Verbindungen auch<br />

heute noch <strong>als</strong> elitäre Zirkel besitzen, scheint gerade<br />

auf Leitungsfunktionen eine große Attraktivität<br />

auszuüben. Die schmucken Käppchen und Hütchen<br />

scheinen zusätzlich auch wieder besser in eine sich<br />

selbst vermarktende Hochschullandschaft zu passen,<br />

die schauen muss, aus was sie sich ein möglichst<br />

„traditionsreiches“ Profil konstruiert. Ob diese<br />

„Traditionen“ eine präfaschistische Funktion <strong>als</strong><br />

Sozialisationsagentur hinter sich haben, scheint egal zu<br />

sein. Hohe Plausibilität scheint auch eine Erklärung<br />

durch die hohe Spendenbereitschaft der studentischen<br />

Korporationen gegenüber dem Unibund zu haben. Mit<br />

seiner Motivation, Verbindungen zu fördern, schreckt<br />

der Rektor jedenfalls nicht vor der Fälschung<br />

studentischer Beiträge <strong>zum</strong> jährlichen<br />

Rechenschaftsbericht zurück. In dem Beitrag der<br />

Studierenden zu ihrer Situation, 7 der <strong>als</strong> von den<br />

Studierenden verfasst und <strong>als</strong> völlig unverändert durch<br />

die Universität dargestellt wird, wurde der<br />

nachfolgend unterstrichene Teil auf Geheiß des<br />

Rektors eingefügt:<br />

„Mit großem Bedauern und Missmut nahm die<br />

Mehrheit der Studierenden die Nachricht auf, dass die<br />

Universitätsleitung Tübingen aufgrund eindeutig<br />

gegebener Rechtslage den Burschenschaften und<br />

Verbindungen [...] weiterhin mit offenen Armen<br />

entgegentritt.“<br />

Bildnachweise:<br />

1:http://homepages.uni-tuebingen.de/cheruskia/aktuell.htm<br />

2:http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/highlights/h06-diesbild01.html<br />

3:nicht mehr ausfindbar<br />

7 vgl. Eberhard-Karls-Universität Tübingen:<br />

Rechenschaftsbericht des Rektors 2000/2001.<br />

Tübingen 2002<br />

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Teil 2: „Rektor der konstruierten Sachzwänge“ - Seite 4 von 4


Teil 3: „Herr Corpsstudent, vernetzen Sie sich!“ 1*<br />

Studentische Verbindungen <strong>als</strong> Karrierenetzwerke<br />

und reaktionäre Seilschaften<br />

Vor allem Juristen nach dem zweiten Staatsexamen ist<br />

das Problem bekannt: <strong>Der</strong> Kommilitone, der Mitglied<br />

einer studentischen Verbindung war, scheint sich<br />

problemloser und schneller in den Arbeitsmarkt zu<br />

integrieren <strong>als</strong> sein „freier“ Konkurrent. 1 Gerade für<br />

Frauen kann der durch ihr Geschlecht bestimmte<br />

Ausschluß aus den Karrierenetzwerken der etablierten<br />

studentischen Verbindungen einen<br />

Wettbewerbsnachteil bedeuten. Es besteht <strong>als</strong>o die<br />

begründete Vermutung über eine Einschränkung des<br />

Wettbewerbs z.B. auf dem juristischen Arbeitsmarkt<br />

durch die „Pöstchenschieberei“ 2 der Alten Herren.<br />

Bisher beschäftigen sich nur vereinzelt JournalistInnen<br />

und WissenschaftlerInnen systematisch mit dem<br />

Problem der korporierten Elitennetzwerke 3 . In diesem<br />

Beitrag soll vor allem anhand des Beispiels der<br />

Tübinger Verbindung Cheruskia einmal versucht<br />

werden anhand der geringen Informationen, die über<br />

das Wirken Alter Herren in der Gesellschaft und am<br />

Arbeitsmarkt verfügbar sind, ein Panorama ihres<br />

Einflusses zu skizzieren.<br />

1 * Titel eines Vortrags eines Marburger Corpsstudenten<br />

für seine Bundesbrüder vom 06.12.02. Siehe www.heikoschomberg.de/vernetzen_sie_sich_corpslastig_<strong>AK</strong>TUELL<br />

ES_MANUSKRIPT.html . Recherchiert am 07.10.03<br />

1Überprüfbare Datensammlungen gibt es nicht zu dieser<br />

Problematik. So wäre eine wissenschaftliche Erhebung<br />

immer mit dem Problem konfrontiert sich auf die<br />

Freiwilligkeit der Angaben in diesem sensiblen Bereich<br />

verlassen zu müssen. Die halbinstitutionalisierte Position<br />

der studentischen Verbindungen zwischen Universität und<br />

Privatem ermöglicht diese „Heimlichtuerei“.<br />

2 Vgl. Christian Röwekamp, in: Westdeutsche Zeitung, 1.<br />

April 2000<br />

3 Vgl. z.B. mit Projekt „Konservatismus und<br />

Wissenschaft“ e.V. (Hg): Verbindende Verbände. Ein<br />

Lesebuch zu den politischen und sozialen Funktionen von<br />

Studentenverbindungen. Marburg 2000.<br />

Oder siehe auch: Schäfer, Gerhard: Klüngel und Karrieren<br />

– Beziehungen und Ver-bindungen. In: Elm / Heither /<br />

Schäfer (Hg): Füxe, Burschen, Alte Herren, a.a.O., S.<br />

299-321<br />

<strong>Der</strong> Gesellschaft ein „katholisches Profil verleihen“<br />

Die AV Cheruskia ist eine farbetragende, katholische<br />

Studentenverbindung. Sie steht in enger Verbindung<br />

mit dem Vatikan, was in einem Dankesbrief aus dem<br />

Vatikan an die Cheruskia zu ihrem 100-jährigen<br />

Stiftungsjubiläum <strong>zum</strong> Ausdruck kommt:<br />

„Seine Heiligkeit freut sich aufrichtig darüber, dass<br />

die Cheruskia in treuer Verbundenheit mit dem Stuhl<br />

Petri darum bemüht ist, dem universitären und<br />

akademischen Leben ein katholisches Profil zu<br />

verleihen.“ 4<br />

4 Zitat aus dem öffentlich verlesenen Brief in<br />

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Teil 3: „Herr Corpsstudent, vernetzen Sie sich!“ - Seite 1 von 4


Frauen sind nicht zugelassen. Sie ist mit 126 weiteren<br />

Verbindungen über den Cartellverband katholischer<br />

farbentragender Studentenverbindungen (CV)<br />

verbunden. In der Eigenwerbung wird deutlich auf<br />

dieses große Netzwerk hingewiesen, das<br />

Berufsperspektiven eröffnen soll:<br />

„Das sind über 6000 Studenten in 54 Hochschulorten<br />

Deutschlands. Hinzu kommen über 26000 im<br />

Berufsleben stehende Mitglieder. <strong>Der</strong> CV ist der<br />

größte Akademikerverband Deutschlands.“ 5<br />

Dem Erstsemester wird dabei drastisch vor Augen<br />

geführt, dass Vitamin B für die Zukunft ein<br />

unerlässliches Kapital ist:<br />

„Genügt es heute nur Wissen zu erwerben? Nein!“.<br />

Die Cheruskia dagegen garantiert:<br />

„Freunde fürs Leben? Eines unserer Prinzipien!“.<br />

Da eine direkte Protektion <strong>als</strong> anrüchig gilt werden die<br />

zukünftigen Vorteile der verbindungsstudentischen<br />

Strukturen meistens mit einer Persönlichkeitsbildung<br />

gleichgesetzt, die auf dem späteren freien Arbeitsmarkt<br />

dann Erfolg garantiereren soll:<br />

„Durch die bewährten Strukturen unserer<br />

Gemeinschaft wird die Persönlichkeit [...] gefördert.“<br />

Schutz vor dem freien Arbeitsmarkt 1: der<br />

gemeinsame korporierte Habitus von Arbeitgeber<br />

und Arbeitnehmer<br />

<strong>Der</strong> vorausgegangene Hinweis beruht auf einer<br />

soziologisch sehr wahrscheinlichen Variante des<br />

Vorteils auf dem späteren Arbeitsmarkt. Gerade neuere<br />

Studien z.B. über Elitenrekrutierung weisen darauf hin,<br />

dass sich in einer bestimmten Art sozialisierte Habitus<br />

(Potentieller Arbeitgeber und potentieller<br />

Arbeitnehmer) in Bewerbungsgesprächen „erkennen“. 6<br />

Für die studentischen Verbindungen lässt sich <strong>als</strong>o<br />

begründet vermuten: Nicht besondere Eigenschaften<br />

des korporierten Habitus stoßen auf große<br />

Begeisterung aller potentiellen Arbeitgeber, sondern<br />

die Ähnlichkeit ihrer in der Studentenverbindung<br />

identisch geprägten Persönlichkeiten lässt z.B. einen<br />

korporierten Personalchef sich für einen korporierten<br />

Bewerber entscheiden. Womöglich gibt man sich noch<br />

zu erkennen und hat so weitere gemeinsame<br />

Anknüpfungspunkte in einem Bewerbungsgespräch.<br />

Eventuell kann von einem Bewerber auch versucht<br />

werden seine korporierte Herkunft von vorneherein<br />

heraus zu stellen. Dieser soziologische Effekt bedeutet<br />

in der Praxis z.B. für einen Cherusker die Möglichkeit<br />

der Nutzung des gesamten CV-Netzwerkes<br />

(Wahrscheinlich auch des gesamten korporierten<br />

Netzwerkes), da alle in diesem Dachverband<br />

Schwäbisches Tagblatt vom 30.06.02<br />

5 Werbeflyer der AV Cheruskia aus dem WS 2001/2002<br />

6 Vgl. Hartmann, Michael: <strong>Der</strong> Mythos von den<br />

Leistungseliten, Campus Verlag, Frankfurt a. M, 2002<br />

organisierten Verbindungen eine sehr ähnliche<br />

Persönlichkeitsbildung betreiben, was von ihnen selbst<br />

betont wird.<br />

Schutz vor dem freien Arbeitsmarkt 2: Die direkte<br />

Vermittlung von Jobs über persönliche Netzwerke<br />

innerhalb der Studentenverbindung<br />

Die dominantere Möglichkeit der Vermittlung von<br />

ehemaliger Aktivitas in die Arbeitswelt erscheint <strong>als</strong><br />

direkte Vermittlung. Hier Nachweise zu führen ist sehr<br />

schwierig. Hier soll versucht werden wiederum am<br />

Beispiel der AV Cheruskia zu verdeutlichen, wie eine<br />

Tübinger Verbindung ganze Politikbereiche über Jahre<br />

hinweg dominieren kann. Zum hundertsten Geburtstag<br />

der AV Cheruskia erschien in der Stuttgarter Zeitung<br />

ein Artikel, der mit einigem Insiderwissen,<br />

wahrscheinlich von einem Verbindungsmitglied<br />

geschrieben worden war. 7 Dort heisst es:<br />

„Das einigende Band, von den schlagenden<br />

Verbindungen abgesehen, ist nicht mehr die Ideologie.<br />

Die Basis der korporierten Bünde ist viel schlichter:<br />

sie sind eine Seilschaft fürs Leben [...]. Und das geht<br />

so: <strong>Der</strong> Cherusker Dietmar Schlee (CDU), einst<br />

Innen- und Sozialminister, entdeckt einen<br />

hoffnungsvollen Juristen, der auch das orange-weißblaue<br />

Band trägt: Kurt Widmaier. Er macht den<br />

früheren Redakteur der ‚Schwäbischen Zeitung‘ zu<br />

seinem persönlichen Referenten, danach wird<br />

Widmaier stellvertretender Regierungspräsident in<br />

Tübingen, und wenige Jahre danach Landrat von<br />

Ravensburg, wo er den Bundesbruder Guntram Blaser<br />

beerbt.“<br />

Das weist darauf hin, dass z.B. der Landkreis<br />

Ravensburg seit Jahrzehnten von ein und derselben<br />

Gruppierung von insgesamt 35 Aktiven und 377 Alten<br />

Herren geprägt wird. <strong>Der</strong> Landkreis Ravensburg hat<br />

insgesamt aber 250000 EinwohnerInnen. Gerade<br />

innerhalb der CDU scheint sich die Tübinger AV<br />

Cheruskia zu einer Kaderseilschaft entwickelt zu<br />

haben: Prominetere Cherusker sind z.B. Bruno Heck<br />

(Bundesminister a.D.), Michael Eilfort (Büroleiter von<br />

Friedrich Merz, CDU-Fraktionsvorsitzender im<br />

Bundestag), Hermann Schaufler (badenwürttembergischer<br />

Verkehrsminister a.D.), Josef<br />

Dreier, Gerhard Weng oder Theo Götz (ehemalige<br />

Mitglieder des baden-württembergischen Landtages,<br />

CDU). Eine Gruppe von <strong>ca</strong>. 400 Ehemaligen oder<br />

Noch- Tübinger Studenten (alles Männer!) scheint im<br />

baden-württembergischen Landtag mit mehreren<br />

Vertretern deutlich überrepräsentiert zu sein. Nimmt<br />

man an, die Tübinger Cheruskia hatte über die<br />

Legislaturperioden hinweg immer nur einen<br />

7 Ziele und Ideale: Einmal Cherusker, immer Cherusker.<br />

www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/153991 .<br />

Recherchiert am 29.04.03. So gut wie alle Angaben zur<br />

Tübinger Cheruskia sind aus diesem Artikel<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 3: „Herr Corpsstudent, vernetzen Sie sich!“ - Seite 2 von 4


Abgeordneten im Landtag<br />

(was wahrscheinlich<br />

untertrieben ist: siehe oben),<br />

so erscheint für einen<br />

jungen Baden-<br />

Württemberger, die<br />

Wahrscheinlichkeit einmal<br />

<strong>als</strong> Abgeordneter im<br />

Landtag zu landen, durch<br />

einen Beitritt zur Tübinger<br />

Cheruskia um <strong>ca</strong>. 625mal<br />

höher <strong>als</strong> für einen<br />

„Normalbürger“. Auch<br />

andere gesellschaftliche<br />

Schlüsselpositionen<br />

scheinen durch Cherusker<br />

besetzt: So ist der<br />

Hörfunkdirektor des<br />

Südwestrundfunks<br />

(Bernhard Herrmann)<br />

ebenfalls Cherusker und<br />

war einmal Pressesprecher<br />

der CDU-Landtagsfraktion.<br />

Letzte umstrittene<br />

Maßnahme: <strong>Der</strong> Ausstieg<br />

aus den fremdsprachlichen<br />

Programmen der ARD.<br />

Korporierte und ihr<br />

Einfluss<br />

Übrigens: Die Position des<br />

SWR-Intendanten scheint<br />

mit der Mitgliedschaft in<br />

der deutschen Sängerschaft<br />

(DS) zu korrelieren: So ist<br />

der Intendant Peter Voss<br />

(Sängerschaft Gotia et<br />

Baltia) sowie Günther von<br />

Lojewski (ehemaliger<br />

Intendant) Mitglied in der<br />

DS. 8 Es fällt auf, dass sich<br />

in der Geschäftsleitung des<br />

SWR (unter den Direktoren)<br />

keine einzige Frau befindet: Vorschlagsrecht hätte hier<br />

Herr Voss.<br />

Es bleibt zu untersuchen inwieweit diese<br />

hochfunktionellen undemokratischen Netzwerke sich<br />

der demokratischen Kontrolle entziehen und zu<br />

persönlichen Vorteilsnahmen und Beeinflussungen<br />

führen. So ermöglichte z.B. Lothar Strobel (ehemaliger<br />

Generalbevollmächtigter der Blendax-Werke und<br />

ebenfalls Tübinger Cherusker) dem damaligen badenwürttembergischen<br />

Ministerpräsidenten umstrittene<br />

8 siehe www.akadpress.de/archiv/nachrichten1998.html .<br />

Recherchiert am 08.10.03<br />

Urlaubsreisen. Es bleibt<br />

zu klären ob Lothar<br />

Späth selbst<br />

Verbindungsmitglied<br />

ist. Er war bei der 100jährigen<br />

Stiftungsfeierlichkeit<br />

der Cherusker am<br />

ersten Juni 2002<br />

<strong>zum</strong>indest der<br />

Festredner. Immer<br />

wieder deuten<br />

Politskandale auf<br />

Verbindungsnetzwerke<br />

hin. So auch im Falle<br />

der Immobilienpleite<br />

des Berliner CDU-<br />

Senats unter Diepgen<br />

und Landowsky (beide<br />

Korporiert). Auch<br />

Superpleitier Dr.<br />

Jürgen Schneider war<br />

Korporiert (Corps<br />

Hassia Darmstadt) 9 .<br />

Geschickt nutzen<br />

Korporationsverbände<br />

die Presse. Erscheint<br />

z.B. in der FAZ einmal<br />

ein Artikel über das<br />

Korporationswesen, so<br />

sind diese in einem<br />

beschwichtigenden Ton<br />

gehalten. Vor allem die<br />

zitierten Sätze von<br />

korporierten<br />

einflussreichen<br />

Personen sind dazu da,<br />

die Bedeutung des<br />

korporierten Einflusses<br />

herunterzuspielen.<br />

Etwa in der Art:<br />

„Wenn sich einer<br />

bewerbe, sei das<br />

Korporiertsein letztlich nur ein ‚kleiner<br />

Unterscheidungsgrad im Einheitsbrei’“. Oder:<br />

„Seilschaften oder Netzwerke gibt es seiner Meinung<br />

nach allerdings nicht. Mit Vorurteilen wie diesen tun<br />

sich Korporierte noch immer schwer“. 10<br />

9 www.frankfurter-verbindungen.de/korporierte/s.html .<br />

Recherchiert am 07.10.03<br />

10 Schmitt, Peter: „Es ist natürlich etwas anderes, wenn<br />

man weiß, der andere war auch aktiv“. Vom Nutzen, ein<br />

Corpsstudent, Burschen- oder Landsmannschafter zu sein:<br />

Keine Seilschaften, aber Netzwerke. In: Frankfurter<br />

Allgemeine Sonntagszeitung vom 26. März 2000<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 3: „Herr Corpsstudent, vernetzen Sie sich!“ - Seite 3 von 4


Blendet man jedoch diese verharmlosenden O-Töne<br />

sowie den niedlichen Gesamtton solcher Artikel aus<br />

und konzentriert sich nur auf die präsentierten Fakten<br />

so bleibt zu meist eine Leistungsshow des korporierten<br />

Netwerkes übrig:<br />

„Im so genannten Lebensbundprinzip sieht er [Konrad<br />

Hinrichs, Vorstandsvorsitzender der Philipp Holzmann<br />

AG, Anm. d. Red.] einen nicht zu unterschätzenden<br />

Aktivposten. Deswegen findet er es wichtig junge<br />

Bundesbrüder zu fördern. [...] Die Corps <strong>zum</strong> Beispiel<br />

gehen davon aus, dass von ihren 20000 Alten Herren<br />

rund 600 Hochschulprofessoren sind. Fast 18 Prozent<br />

seien Ärzte, 14 Prozent Geschäftsführer oder in<br />

Vorständen tätig, knapp zehn Prozent Rechtsanwälte<br />

oder Notare. Das durchschnittliche Einkommen soll<br />

bei annähernd 10000 Mark im Monat liegen. [...] Aber<br />

die einzelnen Verbindungen und Verbände vergeben<br />

Studienpreise und Stipendien, veranstalten eigene<br />

Rhetorikseminare oder bieten gezielt Stellen an.<br />

Zudem gibt es kaum eine Stadt in Deutschland oder<br />

Österreich, in der nicht eine Art Stammtisch gegründet<br />

worden wäre, an den sich jedes neue Mitglied nicht<br />

nur wegen Kost und Logis wenden kann.<br />

Parteiübergreifend treffen sich <strong>zum</strong> Beispiel einmal im<br />

Monat die Corpsstudenten des Deutschen Bundestags.<br />

[...] Heute sitzt im Vorzimmer <strong>als</strong> Referent des FDP-<br />

Abgeordneten ein Korporierter. Schon <strong>zum</strong> zweiten<br />

Mal, sagt Schmidt-Jorzig, das sei aber reiner Zufall.<br />

Dabei fördert der Alte Herr Corpsbrüder durch aus“.<br />

Solche Artikel schaffen die Gratwanderung der<br />

Verharmlosung bei gleichzeitiger immenser<br />

Werbewirksamkeit!<br />

Herr Corpsstudent, vernetzen Sie sich!<br />

Auch studentische Verbindungen haben die<br />

Konjunktur der Netzwerktheoreme in den<br />

Sozialwissenschaften mitbekommen.<br />

„ In fast jeder Verbindung gibt es schriftlich fixierte<br />

Verhaltensregeln und ‚Diskussionstips’, in denen<br />

Mitgliedern nahegelegt wird, wie sie sich in<br />

Diskussionen mit Gästen oder mit fremden taktisch<br />

und zielgerichtet verhalten sollen.“ 11<br />

So scheint die neue Sprachregelung in „Netzwerk“<br />

anstatt „Lebensbund“ zu bestehen. Das ermöglicht<br />

Werbung bei gleichzeitiger Verharmlosung des<br />

Einflusses korporierten Gedankenguts innerhalb der<br />

Bundesrepublik Deutschland. Ein fast schon amüsantes<br />

Beispiel corpsstudentischer Vernetzungstechnik bietet<br />

das Vortragsscript eines Marburger Corpsstudenten für<br />

11 Asta der Universität Hamburg (Hg): Öfter nach dem<br />

Rechten schauen. <strong>Der</strong> AstA-<strong>Reader</strong> <strong>zum</strong> hamburger<br />

Verbindungswesen. Siehe „2.5 Werbe- und<br />

Diskussionsstrategien: Ähnlichkeit mit Sekten?“, S.13<br />

seine Bundesbrüder. 12 In dieser Klüngelschule herrscht<br />

ein schneidiger Ton:<br />

„Wertvolle und belastbare Kontakte, müssen nicht nur<br />

fein gesponnen, sie müssen nach Möglichkeit auch<br />

zeitig geknüpft werden: Wir fangen nicht, polemisch<br />

gesprochen, so früh an, gemeinsam Dreck zu fressen<br />

wie englische Eliteschüler. Aber auch die Mensur und<br />

andere gemeinschaftliche Erlebnisse im Corps<br />

schweißen – im wahrsten Sinne des Wortes (Platitüde:<br />

‚Schweiß spart Blut – aber warum am f<strong>als</strong>chen Ende<br />

sparen?!’) zusammen.“<br />

<strong>Der</strong> Vortrag stellt fest:<br />

„Selbstverständlich gibt es ein deutschlandweites<br />

Netzwerk“.<br />

An anderer Stelle:<br />

„Selbstverständlich versuchen Verbindungen<br />

Angehörige dieser zu protegieren und zu fördern das<br />

ist ganz natürlich [...] das ist – stark verkürzt<br />

gesprochen – deren Hauptzweck!“. „Provokant<br />

gesprochen: ‚Cliquen-Wirtschaft’ ist besser und<br />

nützlicher <strong>als</strong> ihr Ruf. In den angelsächsischen<br />

Ländern sind ‚Old-Boy’-Netzwerke schon lange<br />

Standard“.<br />

In einem Exkurs Kontaktstärke gibt es Verhaltenstipps:<br />

„Gemeint ist damit, dass Sie es verstehen, auf fremde<br />

Menschen zuzugehen und ihnen genau das zu bieten,<br />

was sie sich immer gewünscht haben.[...] Die<br />

richtigen Leute zu kennen, zu den richtigen<br />

Veranstaltungen eingeladen zu werden ist geschäftsresp.<br />

karrierefördernd![...] Für die [...]<br />

Corpsstudenten im Beruf gilt: Netzwerkerweiterung<br />

geschieht überall: [...] Wenn man auf dem Kösener<br />

nur mit Verhältnissen säuft, nicht rechts und links<br />

guckt und farbkreisübergreifende Gespräche auf<br />

Pöbeleien und Bierjungen reduziert, so erfährt man<br />

nie, das der Neffe des Grünen neben einem, mit dem<br />

man so schneidig säuft, aber eben nur dies, bald ein<br />

Studium am eigenen Hochschulort beginnt und gerne<br />

aktiv werden und er keinen ‚natürlichen Anlaufpunkt’<br />

beispielsweise in Marburg hat,[...].Doch diese Aspekte<br />

der Kommunikationsbereitschaft (im Sinne von ‚stets<br />

auf dem Sprung sein’, bzw. Bereitschaftsdienst)<br />

können wir für das gros des Corpsstudententums<br />

vernachlässigen – da läuft es meinem Eindruck nach<br />

hervorragend.“<br />

12 siehe Fußnote 1*<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 3: „Herr Corpsstudent, vernetzen Sie sich!“ - Seite 4 von 4


Teil 4: Einer fÜr alle – alle auf Einen<br />

Kneipe, Convent, Kommers, Mensur – Sozialisierung und Erziehung<br />

in studentischen Verbindungen<br />

Bei der interessierten und kritischen Betrachtung des<br />

im weitesten Sinn burschenschaftlichen Lebens kommt<br />

einem Aspekt besonderes Erstaunen und<br />

ausgesprochene Verwunderung zu: der allgemeinen<br />

Strukturierung und Gliederung des alltÄglichen Lebens<br />

und den, man mÖchte sagen, gemeinschaftlichen<br />

Ritualen, die im korporierten Leben fest verankert sind,<br />

so wenig Raum fÜr SpontaneitÄt und Neues lassen und<br />

auf die einzelne PersÖnlichkeit in bestimmter Absicht<br />

rÜckwirken. Exponierte Stellung unter den sichtbaren<br />

LebenszusammenhÄngen und -verhÄltnissen nehmen<br />

besonders die sogenannte Kneipe, der Convent, der<br />

Kommers und die Mensur ein, die im Folgenden nÄher<br />

betrachtet werden sollen.<br />

rheno-palatia.de<br />

"Geselliges Trinken in festgelegter Form" 1 ist eine<br />

harmlose und unscheinbare, fast euphemistisch<br />

wirkende Umschreibung fÜr die regelmÄ¿ig auf den<br />

HÄusern der traditionellen Verbindungen stattfindende,<br />

1 Robert Paschke, Studentenhistorisches Lexikon, bearbeitet<br />

von Friedhelm GolÜcke, wieder erschienen in der Reihe<br />

GDS-Archiv im SH-Verlag, KÖln 1999, S. 153<br />

obligatorische Kneipe, die sich einer kritischen<br />

Betrachtung vielmehr <strong>als</strong> eine zentrale Institution zur<br />

Durchsetzung autoritÄrer Prinzipien und Regeln, sowie<br />

zur Festsetzung etablierter Hierarchien und<br />

ausschlie¿ender Gemeinschaftlichkeit im Bewusstsein<br />

der Teilnehmer in geselliger und scheinbar privater<br />

AtmosphÄre darstellt. Zentral fÜr Struktur und Inhalt<br />

einer Kneipe ist der so genannte Biercomment, in dem<br />

Ablauf, zeremonielle Ansprachen, verschiedenste<br />

Ehrungen und zahlreiche Formen des Trinkens fixiert<br />

sind. Auf den ersten Blick mag die vordergrÜndig<br />

intendierte Absicht der Gemeinschaftsbildung<br />

begrÜ¿enswert erscheinen und auch eine AttraktivitÄt<br />

fÜr junge Studierende in einer zunehmend<br />

anonymisierenden Welt erklÄren. Den funktionalen<br />

Momenten einer solchen konstruierten<br />

Gemeinschaftlichkeit wird diese EinschÄtzung jedoch<br />

nicht gerecht. Zwischen Ordnung und Freiheit findet<br />

sich ein Verhaltenskodex, der UngeÜbten einen<br />

Drahtseilakt Äu¿erster PersÖnlichkeitsaufgabe und<br />

wirkungsvollster PersÖnlichkeitsbildung bereitet.<br />

IndividualitÄt tritt hinter die Gemeinschaft, und diese<br />

beugt sich dogmatischer Tradition verstaubter und<br />

blutverschmierter Geschichte deutschnationaler<br />

Ideologien. Die Teilnahme an der Gemeinschaft<br />

erfordert die Einhaltung von fremdbestimmten und<br />

nicht zu hinterfragenden Regeln, <strong>als</strong> Zeremoniell wird<br />

ausgegeben, was einem Au¿enstehenden angesichts des<br />

Ausgeliefertseins an die kontrollierte Gemeinschaft <strong>als</strong><br />

organisierte GehirnwÄsche erscheinen muss. Sind die<br />

Regeln akzeptiert, darf man sich in einer Freiheit<br />

wiegen, die im kollektiven Rausch, in doppelter<br />

Hinsicht, kulminiert. „Die Erfahrung und die Kraft der<br />

SelbsteinschÄtzung, wann die eigene Grenze erreicht<br />

ist“, soll auch in einem in jeder Hinsicht „vorgerÜckte<br />

[n] Stadium“ dem kollektiven Einzelnen zukommen<br />

und gedeihen kÖnnen, um „die guten Sitten und<br />

BrÄuche zu beherrschen“. 2 Nicht nur, dass hier<br />

2 Handbuch des KÖsener Corpsstudenten, Hgg. vom<br />

Vorstand des Verbandes Alter Corpsstudenten, WÜrzburg<br />

1985, Bd. 1/ 2, S. 176<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in TÜbingen - clubhausia.fsrvv.de<br />

Teil 4: „Einer fÜr alle – alle auf Einen“ - Seite 1 von 8


Erfahrungswelten des letzten Jahrhunderts durch die<br />

teilweise nur minimal verÄnderten einschlÄgigen<br />

Komments neue Manifestationen finden und BrÜcken<br />

fÜr vermeintlich Überkommene Weltanschauungen<br />

geschlagen werden, treibt sich der ausschlie¿ende<br />

Charakter burschenschaftlicher Institutionen weit ins<br />

Extrem und sedimentiert abwehrende Haltungen<br />

gegenÜber jedweder VerÄnderung an der einmal<br />

genossenen Gemeinschaft und ihren heeren Zielen.<br />

germania-erlangen.de<br />

Feierlich und unscheinbar gibt sich die<br />

burschenschaftliche Mitgliederversammlung, der so<br />

genannte Convent, die Über den Überschaubaren Kreis<br />

der Kneipenteilnehmer hinaus die gesamte jeweilige<br />

Burschenschaft oder den Übergeordneten Verband<br />

vollzÄhlig in wechselnder RegelmÄ¿igkeit<br />

zusammenfinden lÄsst. Erziehung, Sozialverhalten und<br />

Politik gehen bei einem solchen Ereignis einen<br />

gemeinsamen Weg, der einmal mehr fÜr den Einzelnen<br />

SelbsteinschÄtzung in gro¿er Gesellschaft und<br />

SelbstÜberwindung in der Auseinandersetzung mit<br />

anderen fÖrdern und einÜben soll, gleichsam aber auch<br />

die Herausforderung bedeutet, sich im Lichtstrahl der<br />

hohen Politik und bedeutsamen Argumentation<br />

ausgewachsener Eliten zu bewegen. Die "Vermittlung<br />

eines FeingefÜhls fÜr das Machbare" 3 und die eigene<br />

PersÖnlichkeit an den Vorgaben der AutoritÄten<br />

ausbilden und festigen, sind die MÖglichkeiten, die sich<br />

zu solchen Gelegenheiten bieten sollen. „<strong>Der</strong><br />

erzieherische Wert des Conventes in sprachlicher und<br />

psychologischer Schulung wird immer unterschÄtzt.<br />

Erst muss ich einmal im Kreis der Freunde, der<br />

BundesbrÜder die inneren Hemmungen Überwinden<br />

lernen, sonst werde ich - im Berufe stehend und in das<br />

3 Stephan Peters (Projekt Konservatismus und Wissenschaft<br />

e.V.), Die Mittel der korporierten Erziehung im <strong>Reader</strong> Über<br />

Burschenschaften und andere Zumutungen des AStA (Hg.)<br />

der Uni DÜsseldorf, 2002. Diesem Text verdankt der Autor<br />

einige weitere Anregungen und Hinweise auf Zitatstellen.<br />

Öffentliche Leben gestellt - unter meinen Hemmungen<br />

eine Niete bleiben und das Feld dem hemmungslosen<br />

Demagogen Überlassen.“ 4 <strong>Der</strong> „erzieherische Wert“<br />

und damit eine der Absichten eines solchen Conventes<br />

ist leicht einzusehen. <strong>Der</strong> Korporierte soll sprachliche<br />

und psychologische FÄhigkeiten erwerben, seine durch<br />

BundesbrÜder und Alte Herren prÄformierte Meinung<br />

ausbilden, Ideologien festigen und lernen, seine<br />

„Hemmungen“ auf Öffentlicher BÜhne – die sich im<br />

konstruierten Rahmen des Verindungswesens bis zu<br />

den <strong>als</strong> Kommers verpackten, geschichtstrÄchtigen und<br />

gÄstereichsten Veranstaltungen steigern lassen – und<br />

ebenso seinen gesellschaftlichen, <strong>als</strong> natÜrlich<br />

angesehenen Status <strong>als</strong> „Niete“ zu Überwinden.<br />

Vollkommen ausgeblendet wird in dieser Darstellung<br />

woher die genannten „inneren Hemmungen“ rÜhren.<br />

Auch die Gegnerschaft, hier der „hemmungslose<br />

Demagoge“, wird nicht spezifiziert. Es wird seitens der<br />

Gemeinschaft vielmehr ein dubioses Feindbild<br />

suggeriert, dem gegenÜber das gesellschaftspolitische<br />

„Feld“, unter Anwendung der gleichen Mittel, nicht zu<br />

Überlassen sei.<br />

Regelnde Formen erhalten im Äu¿erst festlichen<br />

Beisammensein der FÜxe und Majoren, Burschen und<br />

Chargierten mit Alten Herren und ihren Damen einen<br />

ganz neuen Glanz und entwickeln eine wirksam<br />

normative Kraft, der sich der Einzelne an diesem Punkt<br />

fast nur noch durch Selbstverleugnung entziehen kann.<br />

Neben seinem parlamentarischen Charakter <strong>als</strong><br />

Mitgliederversammlung mit legislativer Funktion trÄgt<br />

ein Convent einen willensbildenden und Ideologie<br />

vermittelnden Charakter, den die tief blicken lassende<br />

Liste der geladenen Redner deutlich unterstreicht.<br />

Nicht <strong>als</strong> eine demokratische Institution zur<br />

Vermittlung und Durchsetzung demokratischer<br />

Prinzipien gewinnt der Convent kritische<br />

Aufmerksamkeit, vielmehr dadurch, dass ein solcher<br />

"Verbindungsconvent ein wesentlich besserer und<br />

wertvollerer Erziehungsfaktor ist <strong>als</strong> die Öffentlichen<br />

Parlamente". 5 Dort lie¿e sich denn auch ein Redner wie<br />

der im Folgenden exemplarisch zu Wort kommende Dr.<br />

Hans Merkel, <strong>zum</strong>indest nicht in einhelliger<br />

AtmosphÄre politisch-gesellschaftlicher Verantwortungslosigkeit,<br />

ohne aufzufallen schwerlich nur finden:<br />

„Die Kritik an der AuslÄnderpolitik ist<br />

vielmehr geboren aus der tiefen Sorge um unseren<br />

inneren Frieden und um unsere deutsche, christliche,<br />

abendlÄndische und uns Heimat vermittelnde IdentitÄt.<br />

Und diese Sorge ist nichts anderes <strong>als</strong> der Ausflu¿<br />

unseres nationalen Selbstbestimmungsrechts und damit<br />

ein unverzichtbarer Aspekt unserer uns<br />

verfassungsmÄ¿ig gewÄhrten und geschÜtzten<br />

demokratischen Freiheit.<br />

4 CV Handbuch, Gesellschaft fÜr Studentengeschichte und<br />

studentisches Brauchtum e.V. (Hg.), 1990, S. 222<br />

5 ebd., S. 217<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in TÜbingen - clubhausia.fsrvv.de<br />

Teil 4: „Einer fÜr alle – alle auf Einen“ - Seite 2 von 8


Auch der Revisionismus, gegen den unter dem<br />

Gesichtspunkt angeblicher Volksverhetzung sogar das<br />

Strafrecht bemÜht wird, wird zu Unrecht stigmatisiert.<br />

Es gibt kein verfassungsmĿig fixiertes<br />

Zeitgeschichtsbild, das der BÜrger zu glauben<br />

gezwungen wÄre. Zudem ist Revisionismus ein Gebot<br />

jeder seriÖsen Wissenschaft. Erkenntnisse und<br />

Meinungen zur Zeitgeschichte kÖnnen richtig oder<br />

f<strong>als</strong>ch sein, nicht aber demokratisch oder<br />

antidemokratisch, wie die Gedankenpolizei, genannt<br />

Verfassungsschutz, meint. Einsteins Physik war ja auch<br />

nicht jÜdisch, wie es die Nation<strong>als</strong>ozialisten in ihrem<br />

Rassenwahn zu ihrem eigenen Schaden den Deutschen<br />

glauben machen wollten.<br />

Im Übrigen erlaube ich mir den Hinweis, da¿<br />

jede Diskreditierung des zeitgeschichtlichen<br />

Revisionismus eine Diskreditierung auch der deutschen<br />

Nation ist, nÄmlich weil man ihr dadurch die<br />

MÖglichkeit versagt, sich zu entlasten, wo dies von den<br />

Fakten her geboten wÄre.<br />

Ihr verstorbener, von mir sehr geschÄtzter<br />

Bbr. Rudolf Samper, der zutiefst rechtlich dachte und<br />

<strong>als</strong> Jurist in hohem Ansehen stand, hat in seinem sehr<br />

bemerkenswerten Buch "Vergessene Wahrheiten" im<br />

Zusammenhang mit dem Revisionismus den Satz<br />

niedergeschrieben: "Wieso der Tatbestand der<br />

Volksverhetzung erfÜllt sein kann, wenn man sagt, was<br />

man fÜr richtig hÄlt, soll mir erst einmal jemand<br />

erklÄren."<br />

So mÜssen wider jedes RechtsgefÜhl die<br />

sogenannte AuslÄnderfeindlichkeit und der<br />

Revisionismus dafÜr herhalten, gewisse rechte<br />

Gruppen, wie etwa die Republikaner, oder gewisse<br />

rechte Verlage oder Presseerzeugnisse des<br />

Rechtsextremismus zeihen zu kÖnnen - sozusagen <strong>als</strong><br />

Beweisersatz fÜr angeblichen Rechtsextremismus<br />

mangels Beweises wirklich grundgesetzwidriger<br />

BetÄtigung.<br />

Ausgeschlossen, da¿ solch freiheitsfeindlicher<br />

und damit gemeingefÄhrlicher Unfug von deutschen<br />

Beamten ausgedacht worden ist. Hier mu¿ es<br />

politische Vorgaben geben. Die hat Herr Beckstein<br />

nicht erfunden, aber er lĿt sie leider praktizieren.<br />

Weil ich nun schon <strong>zum</strong> fÜnften Mal den<br />

Namen Beckstein ausgesprochen habe, ein<br />

grundsÄtzliches Wort zu diesem Mann! Beckstein ist<br />

gewi¿ keine Negativfigur in der deutschen Politik.<br />

Im Gegenteil. Auf dem Gebiet der inneren<br />

Sicherheit macht er im wesentlichen alles richtig.<br />

Ebenso in Sachen Zuwanderungsbegrenzung <strong>als</strong> einer<br />

der Lehren aus dem verantwortungslosen "laisserfaire"<br />

der letzten 30 Jahre. Ja, er ist in diesen beiden<br />

Punkten sogar der anerkannte StimmfÜhrer der Union<br />

in Deutschland und damit der innenpolitischen<br />

Vernunft geworden. Das sage ich nicht <strong>als</strong> CSU-Mann,<br />

der ich bin, sondern <strong>als</strong> BÜrger. Aber ich sage <strong>als</strong><br />

BÜrger und <strong>als</strong> CSU-Mann auch das, was Beckstein<br />

f<strong>als</strong>ch macht. Und das ist, da¿ auch er seinen<br />

Verfassungsschutz nach rechtsstaats- und<br />

verfassungswidrigen Bewertungskriterien praktizieren<br />

lĿt. (...)<br />

Obwohl derzeit nur die Danubia in die<br />

Becksteinsche Liste der verfassungsfeindlichen<br />

Organisationen aufgenommen ist, sprechen die<br />

dargestellten Praktiken des Verfassungsschutzes stark<br />

dafÜr, da¿ der VerdÄchtigungs- und<br />

Diffamierungsfeldzug der VerfassungsschÜtzer auch<br />

auf andere Glieder des Verbandes ausgedehnt wird.<br />

Und zwar um so eher, je mehr wir uns in eine<br />

schwÄchliche Defensive drÄngen lassen.<br />

Als Minister Beckstein im Dezember letzten<br />

Jahres auf dem Haus meiner Burschenschaft sprach,<br />

sagte ich ihm, da¿ ich aktiver Bundesbeamter gewesen<br />

sei und ich es mit meinem Gewissen nicht hÄtte<br />

vereinbaren kÖnnen, wenn mir fÜr meine Arbeit jemand<br />

Vorgaben gemacht hÄtte, wie sie sein - Becksteins -<br />

Verfassungsschutz zu befolgen hat. Dies zu sagen<br />

fÜhlte ich mich <strong>als</strong> BÜrger und <strong>als</strong> Parteifreund des<br />

Ministers, aber darÜber hinaus auch und gerade <strong>als</strong><br />

Burschenschafter verpflichtet.<br />

Abstrakte Bekenntnisse zur Freiheit und <strong>zum</strong><br />

Vaterland, wie wir sie innerburschenschaftlich immer<br />

wieder hÖren und worauf sich manche unserer<br />

VerbandsbrÜder leider beschrÄnken, nutzen Überhaupt<br />

nichts, wenn wir nicht bereit sind, im Alltag konkret fÜr<br />

diese Werte zu kÄmpfen. Dies gilt fÜr den Verband, fÜr<br />

den einzelnen Bund und den einzelnen<br />

Burschenschafter gleicherma¿en. Alle geeigneten<br />

Formen der Beteiligung am Öffentlichen Leben, am<br />

Öffentlichen Diskurs, an der Öffentlichen<br />

Auseinandersetzung mÜssen in diesem Kampf<br />

Verwendung finden. Es reicht einfach nicht, nur auf<br />

den HÄusern zu sitzen und VortrÄge anzuhÖren.<br />

Unsere Devise hie¿ und mu¿ auch kÜnftig immer<br />

hei¿en: "Burschen heraus!".<br />

Wir mÜssen diesen konkreten Kampf selbst<br />

dann fÜhren, wenn wir damit Ansto¿ erregen. Wir<br />

haben insoweit Vorbild fÜr Deutschland zu sein,<br />

Deutschlands freiheitliches und nationales Gewissen.<br />

Vorbild und Gewissen wie schon 1817 auf der<br />

Wartburg, 1832 auf dem Hambacher Schlo¿, 1848 in<br />

der Paulskirche und wie 1987, <strong>als</strong> praktisch alle<br />

etablierten Parteien - die CSU rÜhmlich ausgenommen<br />

- den Gedanken der deutschen Wiedervereinigung<br />

aufgegeben hatten und die Deutsche Burschenschaft<br />

eine der wenigen Organisationen war, die trotz des<br />

Vorwurfes, von vorgestern zu sein und die Zeichen der<br />

Zeit nicht zu erkennen, unverbrÜchlich fÜr die deutsche<br />

Einheit stand.<br />

Vorbild und Gewissen auch dann, wenn<br />

staatliche Stellen in Verkennung ihrer<br />

Verfassungspflichten burschenschaftliche BetÄtigung<br />

<strong>als</strong> rechtsextremistisch diffamieren, wie im Falle Ihres<br />

Bundes, liebe Danuben. (...) Was gegen Ihren<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in TÜbingen - clubhausia.fsrvv.de<br />

Teil 4: „Einer fÜr alle – alle auf Einen“ - Seite 3 von 8


heinfranken.de<br />

Bund stattfindet, ist nichts anderes <strong>als</strong> eine bÖse Frucht<br />

der beharrlichen politischen Hetze der vereinigten<br />

deutschen Linken und ihrer medialen Handlanger.<br />

Diesen KrÄften ist es gelungen, das politische<br />

Koordinatenkreuz so weit nach links zu schieben, dass<br />

normale konservative und nationale Positionen, die<br />

ehedem der demokratischen Rechten zugeordnet<br />

wurden, nunmehr <strong>als</strong> rechtsextremistisch erscheinen<br />

und <strong>zum</strong> Nachteil fÜr Volk, Staat und Verfassung<br />

diskreditierbar sind.<br />

Dieser bis in bÜrgerliche Kreise hinein<br />

wirksame Mechanismus hat dort in der Furcht vor<br />

gesellschaftlicher Ausgrenzung ein geistiges<br />

MitlÄufertum zu Gunsten linker Wertvorstellungen<br />

erzeugt, das einer freiheitlichen Gesellschaft unwÜrdig<br />

ist. Kein Wunder daher, da¿ auch ein konservativ<br />

regierter Staat wie Bayern junge BÜrger, junge<br />

Akademiker Über seinen Verfassungsschutz Ächtet, die<br />

zuverlÄssig zu diesem Staat, zu Deutschland, zu seinem<br />

Volk und zu seiner Verfassung stehen.<br />

Leider sind auch burschenschaftliche Kreise<br />

aus Angst, selbst ausgegrenzt zu werden, eilfertig<br />

bemÜht, sich dem dargestellten Scheinextremismus<br />

gegenÜber abzugrenzen und so ihre eigenen Wurzeln<br />

zu verraten.<br />

Diesem verderblichen Verhalten gilt es mit<br />

aller Macht Einhalt zu gebieten. Geboten ist nicht<br />

Abgrenzung, denn Abgrenzung ist Spaltung. Geboten<br />

ist SolidaritÄt.<br />

Nur so kÖnnen wir, liebe VerbandsbrÜder der<br />

Danubiae, unserer hochaktuellen Aufgabe fÜr Ehre,<br />

Freiheit und Vaterland gerecht werden.<br />

Nur so kÖnnen wir MitlÄufertum und<br />

Zeitgeistlerei Überwinden. Schlie¿lich leben wir weder<br />

unter Metternich, noch unter Hitler oder Honecker,<br />

sondern unterm Grundgesetz, auf das wir uns doch<br />

berufen dÜrfen. Doch dieses Grundgesetz bleibt nur<br />

dann Verfassungswirklichkeit - und das sollte sich<br />

Minister Beckstein gut merken -, wenn es wirklich<br />

gelebt wird. (...)<br />

Da¿ Sie, liebe Danuben, in diesem Sinn zu den<br />

Treuen gehÖren, wei¿ ich. Deswegen werde ich mit<br />

Ihnen allzeit solidarisch sein. Auch die Mehrheit in der<br />

Deutschen Burschenschaft ist mit Ihnen solidarisch.<br />

Bleiben Sie so, wie Sie sind. Sie sind keine<br />

schwarzen Schafe, <strong>als</strong> die Sie von sich wei¿ fÜhlen- den<br />

Hosenschei¿ern aus unseren eigenen Reihen<br />

hingestellt werden. Sie sind eine echte Burschenschaft,<br />

korporationsstudentisch und politisch. WÄre der ganze<br />

Verband so wie Ihr Bund, dann wÜrde die<br />

burschenschaftliche Stimme in Deutschland nicht mehr<br />

ÜberhÖrt werden kÖnnen. Lassen Sie sich um nichts in<br />

der Welt entmutigen! Bleiben Sie standhaft! Sie stehen<br />

auf der richtigen Seite, auf der Seite der Freiheit, die<br />

uns "duft'ge Himmelsblume" ist und bleibt.<br />

Ich gratuliere Ihnen, liebe Danuben, <strong>zum</strong> 154.<br />

Stiftungsfest und wÜnsche Ihrem Bund, da¿ ihm bis in<br />

fernste Zukunft hinein nur das Beste beschieden sein<br />

mÖge:<br />

Heil Danubia! Ich trinke auf Ihr Wohl.“ 6<br />

6AuszÜge der Festrede Dr. Hans Merkels (Arminia-Rhenania)<br />

am 13.06.2002 anlĿlich eines Stiftungsfestes<br />

der MÜnchener Danubia<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in TÜbingen - clubhausia.fsrvv.de<br />

Teil 4: „Einer fÜr alle – alle auf Einen“ - Seite 4 von 8


arge-graz.at<br />

Die Herrschaft Über den Augenblick, ist die Herrschaft<br />

Über das Leben. Frei nach dem Motto Marie von<br />

Ebner-Eschenbachs wird mit der Praktik der Mensur in<br />

das Bewusstsein und in den KÖrper der Betroffenen<br />

eingeschrieben, was nicht mehr zu lÖschen sein soll.<br />

„In besonderer Art und Weise verbindet das<br />

akademische Fechten – das sogenannte Mensurfechten<br />

– unsere Gemeinschaft und prÄgt das Profil unserer<br />

BundesbrÜder. Die Mensur und das Training zur<br />

Mensur sind ja nicht nur sportliche BetÄtigung, sondern<br />

prÄgen jedes Mitglied durch den Einsatz fÜr die<br />

Gemeinschaft. Doch ist die Mensur nur eine<br />

Anforderung von vielen, die wir an unsere<br />

BundesbrÜder stellen.“ 7 FÜr pflichtschlagende<br />

Verbindungen gilt dies <strong>als</strong> ehernes Grundprinzip, das<br />

notwendigerweise die Aufnahme begleitet; einmal<br />

mindestens <strong>als</strong> so genannte Bestimmungsmensur.<br />

Weitere Mensuren kÖnnen vom Convent festgelegt und<br />

geregelt werden, mitunter von einzelnen Mitgliedern<br />

verlangt werden. Seinen Niederschlag findet der<br />

7 http://www.germania-strassburg.de/germania/wir.html,<br />

25.4.04<br />

Regelungsfetischismus, Ähnlich dem Biercomment, im<br />

Paukcomment; u.a. finden sich dort Umfang, Verlauf<br />

und Vorbereitung. Ernsthafte Verletzungen sollen<br />

dabei ausgeschlossen werden und genÜgend Schutz<br />

sollen entsprechende AnzÜge und Masken bieten, die<br />

somit nur wenige, aber dafÜr u.U. reizvollere Partien<br />

im Gesicht und am Kopf markieren. Aussagen der<br />

fechtenden Paukanten zu Folge liegt dem Geschehen<br />

dabei kein Wettbewerbsgedanke zu Grunde, vielmehr<br />

gilt der Ritus der AngstÜberwindung und dem<br />

unabdingbaren Erfordernis, sich ein weiteres Mal fÜr<br />

die Gemeinschaft einzusetzen. Sich selbst vÖllig<br />

aufzugeben in diesem Wahn – der auch hier im Extrem<br />

Ausfluss eines ungleichen GeschlechterverstÄndnis und<br />

martialisch stilisiertem MÄnnlichkeitsbild ist – durch<br />

aufgezwungene ¼berwindung steht der behaupteten<br />

Zielsetzung einer befÖrderten „PersÖnlichkeitsentwicklung<br />

dadurch, da¿ sie anleitet zu Mut,<br />

SelbstÜberwindung, Selbstbeherrschng und<br />

Standhalten“ 8 bei nÄherem Hinsehen vollstÄndig<br />

entgegen. Den inneren Schweinehund gilt es in<br />

soldatischer Manier zu besiegen, um damit der<br />

Gemeinschaft zu ihrem Recht zu verhelfen und sie<br />

dadurch gleichsam auf der normativen Seite ihrer<br />

unzweifelbaren Legitimation zuzufÜhren.<br />

germania-strassburg.de<br />

<strong>Der</strong> schlagenden Verbindung stellt die Mensur sich dar<br />

<strong>als</strong> ein unverzichtbares Bindemittel nach innen, denn<br />

„wer wiederholt auf die Farben seines Corps gefochten,<br />

sich dabei bewÄhrt und meist auch kleinere Blutopfer<br />

8 Raack, in: Die Wachenburg, 1983, S. 116<br />

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Teil 4: „Einer fÜr alle – alle auf Einen“ - Seite 5 von 8


mecklenburgia.de<br />

gebracht hat, fÜhlt sich diesem ritterlichen<br />

MÄnnerbunde unvergleich enger verbunden“. 9 Nach<br />

au¿en dient sie ihrem Zweck <strong>als</strong> Abschreckungsmittel<br />

fÜr SchwÄchlinge und dergleichen und gleichzeitig <strong>als</strong><br />

Mittel einer gefÜrchteten Unterwanderung<br />

vorzubeugen. Soziale und emotionale Kontrolle durch<br />

die Unterwerfung unter den autoritÄren Regelkult,<br />

entfaltet eine Wirkmacht, die militÄrischen<br />

Einrichtungen in nichts nachstehen muss. Gefochten<br />

wird mit etwa einem Meter Abstand; man darf „nur den<br />

Fechtarm bewegen. <strong>Der</strong> Rest des KÖrpers mu¿ so ruhig<br />

wie mÖglich bleiben und darf auch nicht ausweichen.<br />

Gefochten wird mit dem "SchlÄger". Dies ist eine<br />

besondere Art von Fechtwaffen, die nur bei der Mensur<br />

benutzt wird. Beim studentischen Fechten sind nur<br />

Hiebe, sprich kreisrunde Bewegungen mit dem<br />

SchlÄger erlaubt. Es ist <strong>als</strong>o ein Hiebfechten und kein<br />

Sto¿fechten. Jedem Paukanten steht ein Sekundant zur<br />

Seite, der darauf zu achten hat, da¿ der Comment, die<br />

Regeln, strengstens eingehalten werden. (...) Die<br />

Mensur dauert eine festgelegte Anzahl von Hieben.<br />

Sind diese vorÜber, so ist damit auch diese Partie<br />

beendet.“ 10 Betont wird, und das nicht nur der<br />

rechtlichen Relevanz wegen, dass es sich dabei nicht<br />

um ein Duell handelt, sondern um ein Eintreten fÜr die<br />

Korporation. <strong>Der</strong> Selbstdarstellung der Verbindungen<br />

nach hat die Mensur wesentliche Funktionen, die auch<br />

im Prinzip des fakultativen Fechtens aufgehen.<br />

9 ebd.<br />

10 http://www.rhenomarkomannia.de/home.php?target=0&content=2,<br />

25.4.04<br />

Letzteres bedeutet lediglich, dass niemand dazu<br />

gezwungen wird, eine scharfe Mensur zu schlagen. Die<br />

Teilnahme an den Öfters in der Woche stattfindenen<br />

Fechtstunden, in denen die Techniken vermittelt<br />

werden sollen, bleibt dennoch obligatorisch. Beinahe<br />

nach fernÖstlicher Religion klingen die<br />

Charakterisierungen der intendierten Funktionsweisen,<br />

wie etwa Selbstfindung durch ¼berwindung des<br />

Egoismus oder FÖrderung einer idealistischen<br />

Grundhaltung, da kein materieller Vorteil aus dem<br />

Waffenspiel entstÜnde. Solchen frommen WÜnschen<br />

aber stehen auch ganz andere Sichtweisen der<br />

unmittelbar Betroffenen gegenÜber, die teilweise<br />

keinen Hehl daraus machen „einen Nutzen aus dem<br />

noblen Netzwerk ziehen“ 11 zu wollen und<br />

notgedrungen mitspielen. <strong>Der</strong> beschworene ideelle<br />

Wert verpufft ebenso zur blanken Angst, sich bei<br />

Versagen oder einem Mucken die BlÖ¿e geben zu<br />

mÜssen. Die intergrierende Wirkung dieses Mittel und<br />

gleichzeitigen Identifikation mit der burschenschaftlichen<br />

Gemeinschaft, die sich der LoyalitÄt,<br />

Leistung und Liebe <strong>zum</strong> Deutschtum verschrieben hat,<br />

schleicht sich dabei dennoch bewusst oder bewusstlos<br />

ein. "Die Mensur ist wichtig fÜr die<br />

PersÖnlichkeitsentwicklung, fÜr die Selbstbeherrschung<br />

und den Treuebeweis", hat der Unispiegel 12<br />

herausgefunden und zitiert einen sein schwarz-wei¿rotes<br />

Burschenband an seinem OberkÖrper<br />

zurechtzupfenden Patrick. <strong>Der</strong> zitierte Jurastudent<br />

meint, die Regeln des Burschenlebens zu kennen. „Die<br />

Feinheiten hat er von klein auf durch seinen Vater<br />

mitbekommen – ein alter Herr der Germania. Das<br />

Mensurfechten ist reines Hiebfechten, es wird nicht<br />

gestochen , fÜgt Jochen hinzu. Leise atmet er tief<br />

durch. Es ist stiller geworden, keiner spricht mehr.<br />

Jochen horcht. Hoch bitte! Mensur! , ruft Patrick.<br />

Fertig! , erwidert Jochen. Und Los! . Den SchlÄger<br />

fest im Griff schlÄgt Jochen vier Mal Über Kopf aus,<br />

ohne sich auch nur einen Zentimeter vom Platz zu<br />

bewegen. Eins, zwei, drei, vier.- Halt! Eins, zwei, drei,<br />

vier.- Halt! So und nicht anders wird Jochen an seinem<br />

Mensurtag den SchlÄger seinem Gegenpaukanten aus<br />

einer anderen Verbindung entgegenschwingen, 40 Mal<br />

mit der gleichen Schlag-Kombination. Sein Kopf wird<br />

lediglich durch eine Schutzbrille und Ohrkappen<br />

geschÜtzt sein. Er muss dann Stand halten, wÄhrend<br />

seine BrÜder im Publikum mitschwitzen. Au¿er den<br />

Burschen wird keiner dabei sein dÜrfen, weil<br />

Nichtmitgliedern der Zutritt untersagt ist - von Frauen<br />

ganz zu schweigen, die seien tabu. Als sich Anfang<br />

des 19. Jahrhunderts Burschenschaften formierten, gab<br />

es nun mal keine Frauen an UniversitÄten, und wir<br />

kÖnnen doch heute nicht alles hinterfragen , findet<br />

Patrick. Auch wenn es vereinzelt inzwischen<br />

Damenverbindungen gibt: Traditionen werden in der<br />

11 Canan Dogan, Unispiegel vom 28. MÄrz 2003<br />

12 ebd.<br />

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Teil 4: „Einer fÜr alle – alle auf Einen“ - Seite 6 von 8


Burschenschaft gelebt und bleiben keine Floskeln. “<br />

Ob <strong>als</strong> organisierte Dressur, tief greifende<br />

Disziplinierung oder chauvinistische Normierung, diese<br />

Konditionierung allein der physischen KÖrper sollen<br />

sich auf das gesamte Leben des Individuums<br />

auswirken. Die zitierte Herrschaft Über das Leben wird<br />

zur ¼berantwortung des Gewissens des Einzelnen an<br />

die Gemeinschaft, der er sich, wie eingebrannt in den<br />

KÖrper, vollstÄndig in den Dienst stellen wird.<br />

N. Andry, "L'orthopÉdie ou l'art de prÉvenir et de corriger dans les<br />

enfants les difformitÉs du corps", 1749.<br />

PÄdagogische Anleitung, wie sie in diesem Text<br />

umrissen dargestellt werden sollte, findet sich in<br />

diesem schmalen, politisch und kulturell lÄngst<br />

Überhohlten und dennoch, <strong>zum</strong>indest an fast jeder<br />

deutschsprachigen UniversitÄt, weiter brisanten Bereich<br />

des Verbindungswesen zu Hauf. Zur angestrebten<br />

VerantwortungsÜbernahme in Staat und Gesellschaft<br />

werden alle Register gezogen, die eine<br />

SchreberpÄdagogik zu bieten hat. Die Bedeutung des<br />

Verbindungswesens fÜr die akademische Welt und die<br />

MÖglichkeiten deren Einflussnahmen auf<br />

gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinen<br />

Lebens- und Politikkulturen, die kontinuierliche<br />

Bildung eines tragfÄhigen Netzes gegenseitiger blindkollektiver<br />

Verpflichtungen, besonders betont durch<br />

das Lebensbundprinzip auf Lebenszeit, kÖnnen hier nur<br />

angedeutet werden. Das organisierte Spiel der kleinen<br />

Welt im Überschaubaren Kollektiv schlÄgt <strong>als</strong>bald um,<br />

einmal auf der BÜhne der gro¿en Welt angekommen, in<br />

ernste gesellschaftliche Relevanz, die ihr schÄbiges,<br />

geistiges Brandstiftertum <strong>als</strong> Vorwurf weit von sich<br />

weist. Viele andere politischen Gruppen und Sekten<br />

jeglicher Couleur sollen durch die hier angebrachte,<br />

spezifisch perspektivierte Kritik nicht einen<br />

Heiligenschein aufgesetzt bekommen; Selbstkritik und<br />

Bereitschaft, aus objektiven Fehlern der Politik zu<br />

lernen, anstatt sich mit Krallen und ZÄhnen festzuhalten<br />

an ausgrenzenden und bÜndlerischen Grundprinzipien,<br />

markieren aber einen Unterschied. <strong>Der</strong> Versuch einiger<br />

Verbindungen, ihren existenziellen Anachronismus zu<br />

Überwinden, sich zu Öffnen gegenÜber der einst <strong>als</strong><br />

chaotisch und ungeordnet empfundenen Welt, die nach<br />

dem unglÜckseligen Durchbruch des Nationalismus<br />

einbrach in die heile Welt des wilhelminischen<br />

Reiches, lÄsst die Aufgabe Übrig, das zu fÖrdern, was<br />

landlÄufig <strong>als</strong> Seilschaft bezeichnet wird. Zweifelsohne<br />

verÄndert sich damit der hier beschriebene Charakter,<br />

ein tragender Ausschlussmechanismus und<br />

wesentlicher Kritikpunkt bleibt der Elitismus. <strong>Der</strong>zeit<br />

sind etwa 50.000 Studenten in rund 1000 deutschen,<br />

<strong>zum</strong>eist noch Äu¿erst traditionellen Verbindungen, die<br />

sich in Burschenschaften, Corps, konfessionellen<br />

Verbindungen, Landsmannschaften, Turner- und<br />

SÄngerschaften zergliedern, und 30 DachverbÄnden<br />

organisiert. Die Deutsche Burschenschaft <strong>als</strong> grÖ¿ter<br />

Verband zÄhlt Über 120 angeschlossene<br />

Burschenschaften und 15.000 Mitgliedern.<br />

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Teil 4: „Einer fÜr alle – alle auf Einen“ - Seite 7 von 8


urschenschaft.de<br />

"Deutsche Richter von 1940" (Tucholsky)<br />

Wir stehen hier im Vereine<br />

in diesem Lederflaus;<br />

wie die abgestochenen Schweine<br />

sehn wir aus.<br />

Wir fechten die Kreuz und die Quere<br />

mit Schlag und Hieb und Sto¿;<br />

wir schlachten uns um die Ehre - !<br />

Auf die Mensur!<br />

Los!<br />

<strong>Der</strong> deutsche Geist? Hier steht er.<br />

Wie unser Tiefquart sitzt!<br />

Wir machen Hackepeter,<br />

dass die rote Suppe spritzt.<br />

Wir sind die BlÜte der Arier<br />

und verachten kÜhl und grandios<br />

die verrohten Proletarier -<br />

Auf die Mensur!<br />

Gebunden!<br />

Los!<br />

Wir sitzen in zwanzig Jahren<br />

mit zerhacktem Angesicht<br />

in WÜrde und Talaren<br />

Über euch zu Gericht.<br />

Dann werden wirs euch zeigen<br />

in Sprechstunden und BÜros ...<br />

ihr habt euch zu ducken, zu schweigen<br />

Auf die Mensur!<br />

Gebunden!<br />

Fertig!<br />

Los!<br />

Wie lange, MÄnner und Frauen,<br />

seht ihr euch das mit an - ?<br />

Wenn sie sich heut selber verhauen:<br />

Euch fallen sie morgen an!<br />

Ihr seid das Volk und die Masse<br />

von der Etsch bis an den Rhein:<br />

soll d a s die herrschende Klasse,<br />

sollen d a s unsere FÜhrer sein - ?<br />

Fertig!<br />

(im Text- und Bilderbuch "Deutschland, Deutschland<br />

Über alles" von Kurt Tucholsky, 1929)<br />

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Teil 4: „Einer fÜr alle – alle auf Einen“ - Seite 8 von 8


Konstruktion von Geschlecht und Sexismus im<br />

Verbindungswesen<br />

“Unser Burschenbrauchtum ist immer auf die<br />

männliche Gruppe abgestimmt. Die<br />

menschliche Weltordnung ist auf das männliche<br />

ausgerichtet.” (Burschenschaftliche Blätter 57,<br />

1980)<br />

Neben dem Lebensbundprinzip ist das Prinzip<br />

des reinen Männerbundes konstitutiv für die<br />

Struktur und innere Organisation der<br />

allermeisten studentischen Verbindungen.<br />

Dabei ist der Ausschluss von Frauen und nicht<br />

selten auch von nicht-deutschen Männern eine<br />

Voraussetzung für die Vermittlung eines<br />

gelebten und erlebbaren Gefühls der<br />

homogenen Gemeinschaft mit elitärer<br />

Zielsetzung. Um dieses Gefühl zu<br />

verinnerlichen wird nach Peters (2002) auf ein<br />

Sammelsurium an Zwangs- und<br />

Erziehungsmethoden zurückgegriffen, die das<br />

einzelne Mitglied durch Unterwerfung zu einem<br />

“ganzen” Menschen formen soll. Durch<br />

ritualisiertes Üben eines umfassenden<br />

Regelwerks soll der einzelne “Bundesbruder”<br />

schließlich “zur Übernahme seiner<br />

Verantwortung in dem größeren Kreis von Staat<br />

und Gesellschaft” (Handbuch des CV, 1990, S.<br />

269) befähigt werden. Dies geschieht <strong>zum</strong> einen<br />

durch Selbstüberwindung und<br />

Selbstbeherrschung im Rahmen verinnerlichter<br />

Grenzen der korporierten Gemeinschaft und<br />

deren Verteidigung nach “aussen”. Wobei der<br />

nach innen und aussen ausgefochtene<br />

Überwindungskampf einem suggerierten<br />

Feindbild der “inneren Hemmungen” und des<br />

“hemmungslosen Demagogen” gilt, der<br />

außerhalb dieser korporierten Gemeinschaft<br />

steht. Zum anderen bietet das zur Gewohnheit<br />

gemachte, vollkommen verinnerlichte,<br />

habitualisierte Verhalten und Gebähren eine<br />

Form von Verhaltenssicherheit. Durch die<br />

korporierte Erziehung 1 , die den Korporierten<br />

lehrt, fremden Regeln zu gehorchen, sich diese<br />

möglichst schnell zu eigen zu machen und sich<br />

durch den Gehorsam die Anerkennung durch<br />

die Gemeinschaft, die wichtiger <strong>als</strong> der<br />

Einzelne ist, zu verdienen, wird der so <strong>zum</strong><br />

“Ganzen” geformte Mensch unfähig, auf<br />

größere Veränderungen anders <strong>als</strong> mit dem<br />

erlernten Handlungsrepertoire zu reagieren und<br />

zeigt dadurch eine Affinität <strong>zum</strong> Bewahrenden,<br />

Konservativen. Dabei geht dieses<br />

männerbündische Prinzip mit seinen<br />

Erziehungs- und Zwangssystemen auf die<br />

Entstehungszeit der Korporationen zurück,<br />

konserviert und zementiert funktionale Teile der<br />

dam<strong>als</strong> vor Veränderungen stehenden<br />

Gesellschaft wie auch die dahinterliegenden<br />

Ideologien – obrigkeitsstaatliches Denken,<br />

Hierarchie, Befehl und Gehorsam,<br />

Unterordnungspflicht, Pflichterfüllung und<br />

Mannesehre, aber eben auch Nationalismus,<br />

Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus (vgl.<br />

Peters 2002).<br />

Doch wie wird in diesen formell homosozialen<br />

Gemeinschaften 2 der Männerbünde nun die<br />

Kategorie Geschlecht durch “doing<br />

1 An dieser Stelle sei auf den vierten Teil des <strong>Reader</strong>s<br />

verwiesen, der sich unter dem Titel “Einer für alle – alle<br />

auf Einen” genauer mit den Mitteln der korporierten<br />

Erziehung befasst.<br />

2 Homosozialität heißt nach Lipman-Blumen (1976) das<br />

Streben nach, Vergnügen mit und/oder Bevorzugung von<br />

gesellschaftlichem Umgang mit Angehörigen des<br />

gleichen Geschlechts<br />

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masculinity” 3 konstruiert?<br />

Homosoziale Männergemeinschaften sind nach<br />

Meuser (2001) Gemeinschaften, in denen<br />

Männer unter ihresgleichen sind, in denen<br />

Männer Verunsicherungen auffangen können,<br />

und die ihnen habituelle Sicherheit vermitteln.<br />

Denn der Mann befinde sich in einem Prozess<br />

der Auflösung von Sicherheiten, die durch eine<br />

“Entmännlichung” durch fortschreitende<br />

Technisierung einerseits und den Wandel der<br />

Geschlechterverhältnisse andererseits bedingt<br />

sei. In der homosozialen Gemeinschaft des<br />

Männerbundes wird die gesuchte Sicherheit<br />

hergestellt. Dies geschieht zunächst durch die<br />

räumliche Bildung von exclusiv-männlichen<br />

Orten, zu denen Frauen keinen Zutritt haben,<br />

wie es bei 90 % der studentischen<br />

Verbindungen noch immer der Fall ist.<br />

Gleichzeitig orientiert sich der einzelne Mann<br />

3 Was heißt “doing masculinity”? In der neueren<br />

Geschlechterforschung wird davon ausgegangen, dass<br />

Geschlecht nicht einfach da ist, sondern gemacht, <strong>als</strong>o<br />

konstruiert wird. Wann ist ein Mann ein Mann und wann<br />

eine Frau eine Frau? Und gibt es nichts dazwischen?<br />

Geschlecht <strong>als</strong> soziale Kategorie, das mit den<br />

verschiedensten Zuschreibungen (Frau macht das, ist das,<br />

denkt so, fühlt so, etc.) assoziiert wird, und in denen die<br />

Kategorie “Frau” meistens das Negativbild des<br />

angeblichen “Mannes” ist, wird gender genannt . “Doing<br />

gender” ist ein Ansatz, der vorallem von Judith Butler<br />

geprägt wurde, der untersucht, wie dieses “Geschlechter<br />

machen” funktioniert. “Doing masculinity” beschreibt<br />

<strong>als</strong>o den alltäglichen Rahmen, in dem Männlichkeit<br />

transportiert und gefestigt, konstruiert und reproduziert<br />

wird.<br />

in homosozialen Männergemeinschaften an den<br />

Geschlechtsgenossen, die er <strong>als</strong> die<br />

bedeutsamen Anderen generalisiert und in<br />

wechselseitigem Austausch mit ihnen,<br />

gemeinsame moralische Orientierungen,<br />

politische Einstellungen, Wertevorstellungen,<br />

etc. ausbildet. In studentischen Verbindungen<br />

ist diese Orientierung am generalisierten<br />

Anderen zusätzlich durch eine ausgereifte<br />

Hierarchie mit diversen Initiationsriten geregelt.<br />

<strong>Der</strong> auf dieser Hierarchieleiter ganz unten<br />

stehende “Fuchs” muss sich zur besseren<br />

Integration und Kontrolle einen “Leibbursch”<br />

wählen, der ihn mit moralischen Vorstellungen<br />

und politischen Einstellungen des Bundes<br />

vertraut macht und denen er sich anzupassen<br />

hat, um vollständiger Teil der Gemeinschaft<br />

werden zu können (vgl. Peters 2002). So ist die<br />

homosoziale Männergemeinschaft nicht nur ein<br />

Ort ohne Frau, sondern ein Ort, an denen sich<br />

die Männer wechselseitig der Normalität und<br />

Angemessenheit der eigenen Weltsicht<br />

vergewissern können. Ein Rückzugsort mit<br />

entspanntem Klima, in dem die Anstandsregeln<br />

nicht beachtet werden müssen, die ihrem<br />

Selbstverständnis nach für die Interaktion mit<br />

Frauen gelten. In der “Kneipe” z.B. kann<br />

ruhigen Mutes die Grenze der Machbarkeit<br />

getestet werden und bei f<strong>als</strong>cher<br />

Selbsteinschätzung ordentlich gekotzt werden,<br />

denn schließlich ist das “zarte Geschöpf”, <strong>als</strong><br />

das die Frau definiert wird, ja nicht anwesend.<br />

“Männlichkeit” kann ohne Rücksichten und<br />

Vorsichten authentisch gelebt werden. Dadurch<br />

wird nicht nur Solidarität unter den Männern<br />

gestiftet, sondern die Grenzen zwischen den<br />

Geschlechtern verstärkt, deren Differenz man<br />

sich ständig wechselseitig vergewissert. Nach<br />

Meuser dient diese wechselseitige<br />

Vergewisserung der eigenen Normalität gerade<br />

in einer Epoche, in der die gesellschaftliche<br />

Vormachtstellung des Mannes verstärkt in<br />

Frage gestellt wird, der institutionalisierten<br />

Sicherung dieser männlichen Hegemonie.<br />

Tradierte Bilder männlicher Hegemonie <strong>als</strong><br />

geistige und moralische Vorherrschaft<br />

männlicher Wert- und Ordnungssysteme,<br />

Verhaltenslogiken und Kommunikationsstile,<br />

sowie <strong>als</strong> Orientierung an einem männlichen<br />

“Ideal”, das <strong>zum</strong> allgemein Menschlichen<br />

emporgehoben wird, werden so auch gegenüber<br />

Irritationen aufrechterhalten. Diese tradierten<br />

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Bilder von Männlichkeit und männlicher<br />

Hegemonie sind in studentischen Verbindungen<br />

konstitutiver Teil des eigenen<br />

Selbstverständnisses. Die alten Tugenden eines<br />

einem irrational überhöhten Soldatenkult<br />

entsprungenen Männerbilds wie Tapferkeit,<br />

Einheit, Kameradschaft, Ergebenheit, Treue,<br />

Pflichterfüllung, etc. und die damit<br />

verbundenen Ansprüchen einer Überlegenheit<br />

bzw. Vormachtstellung im öffentlichen Leben,<br />

sind noch immer die Losungen eines in<br />

archaischen Strukturen steckengebliebenen<br />

Männerbundes, von dem nicht nur die<br />

althergebrachte Uniformierung zeugt.<br />

Nach Bourdieu wird der männliche Habitus<br />

„nur in Verbindung mit dem den Männern<br />

vorbehaltenen Raum” konstruiert und vollendet,<br />

“indem sich, unter Männern, die ernsten Spiele<br />

des Wettbewerbs abspielen” (Bourdieu 1997,<br />

S. 203). Diese ernsten Spiele des Wettbewerbs<br />

werden in all jenen Handlungsfeldern gespielt,<br />

die die Geschlechterordnung der bürgerlichen<br />

Gesellschaft <strong>als</strong> die Domänen männlichen<br />

Gestaltungswillens vorgesehen hat: in der<br />

Ökonomie, der Politik, der Wissenschaft, den<br />

religiösen Institutionen, im Militär sowie in<br />

sonstigen nicht-privaten Handlungsfeldern.<br />

Frauen sind von diesen Spielen ausgeschlossen<br />

und werden auf “die Rolle von Zuschauerinnen<br />

oder, wie Virginia Woolf sagt, von<br />

schmeichelnden Spiegeln verwiesen, die dem<br />

Mann das vergrößerte Bild seiner selbst<br />

zurückwerfen, dem er sich angleichen soll und<br />

will” (Bourdieu 1997, 203). Dieser nach<br />

szeneinternen Fairness-Regeln ausgetragene<br />

Kampf ist ein Männlichkeitsritual, “und das<br />

Durchhalten bis <strong>zum</strong> Ende dient sowohl der<br />

Selbstvergewisserung der eigenen Männlichkeit<br />

<strong>als</strong> auch der Männlichkeitsdarstellung<br />

gegenüber den anderen” (Meuser 2001, S.13).<br />

Hinzu kommt der Begriff der “männlichen<br />

Ehre”, die es zu verteidigen gilt. Und diese<br />

hängt nach Bourdieu an der Anerkennung, die<br />

von einem Mann dargebracht wird, “der <strong>als</strong> ein<br />

Rivale im Kampf um die Ehre akzeptiert<br />

werden kann” (Bourdieu 1997, S. 204). So ist<br />

die doppelte Abgrenzung, die zu<br />

Dominanzverhältnissen sowohl gegenüber<br />

Frauen <strong>als</strong> auch gegenüber anderen Männern<br />

führt, ein fundamentales Prinzip der<br />

Konstitution von Männlichkeit (vgl. Meuser<br />

2001). Diese doppelte Distinktions- und<br />

Dominanzstruktur von Männlichkeit zeigt sich<br />

in studentischen Verbindungen besonders<br />

deutlich, die einerseits nach aussen hin Frauen<br />

und Männer, die dem eigenen Männerbild nicht<br />

entsprechen 4 , einfach ausschließen, andererseits<br />

nach innen durch ausgeprägte Hierarchien<br />

unter den Bundesbrüdern strukturiert sind.<br />

Und wie wirkt sich all das nun auf das Bild von<br />

der Frau und den Umgang mit ihr in<br />

studentischen Verbindungen aus?<br />

Die Frau <strong>als</strong> “schmeichelnder Spiegel”, die den<br />

Mann <strong>als</strong> Zuschauerin anhimmelt und ihm “das<br />

vergrößerte Bild seiner selbst zurückwirft”, hat<br />

ihren Wert in der männerbündischen Welt<br />

vorallem <strong>als</strong> “schmückendes Beiwerk” und<br />

“Coleurdame” 5 . Mitglied können sie trotz<br />

Neuer Frauenbewegung und gesetzlich<br />

zugestandener Gleichberechtigung in den<br />

allermeisten Verbindungen nicht werden. Denn<br />

wie auf sexistische Manier festgestellt wird:“Es<br />

kommt ja auch niemand auf die Idee, Mitglied<br />

in einem Kaffeekränzchen zu werden.” (DB-<br />

Vorsitzender Seiffe, 1980)<br />

Nach Kurth (2004) lassen zwar prinzipiell 11<br />

von 34 Korporationsdachverbänden weibliche<br />

Studierende zu, doch mit Ausnahme des KV<br />

(Kartellverband der katholischen<br />

Studentenvereine) sind alljene nichtschlagenden<br />

Verbände äußerst klein. Insgesamt umfassen sie<br />

lediglich 221 von 1072 Einzelverbindungen mit<br />

<strong>ca</strong>. 21% aller Korporierten. Da von den 221<br />

Verbindungen aber nur 116 faktisch potentiell<br />

Frauen aufnehmen, da dies den<br />

Einzelverbindungen freisteht, verringert sich ihr<br />

Antleil auf 11%. Beachtet man weiter, dass sich<br />

der Frauenanteil in den Mitgliederzahlen weit<br />

unter den 50% bewegt und rechnet man die seit<br />

Ende der 70er Jahre gegründeten 18<br />

Damenverbindungen 6 hinzu, erhält man einen<br />

verschwindend geringen Anteil weiblicher<br />

Studierender in Korporationen. Die<br />

Korporationen sind <strong>als</strong>o eine der letzten<br />

4 wie z.B. über lange Zeit jüdische Männer, die <strong>als</strong><br />

Gegenbild <strong>zum</strong> arisch-deutschen Mann auch mit<br />

weiblichen Zuschreibungen konnotiert wurden<br />

5 in Verbindungskreisen seit <strong>ca</strong>. 1900 die Bezeichnung<br />

für offiziell zu Tanzveranstaltungen oder anderen<br />

Festlichkeiten zur Korporation eingeladene Frauen<br />

6 in Tübingen gründete sich im Januar 1986 die Laetitia<br />

Tübingen mit den Farben rosa-silber-rosa<br />

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geschlossenen Männerbastionen zu Beginn des<br />

21. Jahrhunderts. Begründet wird der<br />

Ausschluss von Frauen mit der störenden<br />

Wirkung, die sie auf die Verbindung ausüben<br />

würden. “Corpsstudenten sind Männer, eine<br />

Integration des weiblichen Geschlechts würde<br />

<strong>als</strong> Fremdkörper wirken, einem<br />

Freundschaftsbund hinderlich.” (Corpszeitung,<br />

1983). Die Verbindung steht diesem<br />

“Fremdkörper” nur zu besondern Anlässen<br />

offen, aber mit Diskriminierung hat dies<br />

natürlich nichts zu tun: “Die Frau wird mit<br />

besonderer Zuvorkommenheit und Hochachtung<br />

behandelt. Insofern ist sie nicht diskriminiert,<br />

eher <strong>als</strong> privilegiert anzusehen.” (VVDSt.,<br />

1978) Mit welcher Hochachtung sie bedacht<br />

werden, zeigt sich in einer “Damenrede” beim<br />

150. Stiftungsfest des Corps Teutonia Marburg:<br />

“Wie immer wir es wenden oder drehen/ - in<br />

einem Fall erhebt sich kein Protest - / Sie alle<br />

sind – das will ich gern gestehen- / Als Frau'n,<br />

<strong>als</strong> Damen reizend anzusehen. / [...] / Ein<br />

Junggeselle – das ist unbestritten! - / Sieht<br />

einsam fern. Solange dies währt, / hat er<br />

darunter ungemein gelitten, / denn keine süße<br />

Gattin wird ihn bitten, / daß er den Krimi<br />

hinterher erklärt. / Ein Junggeselle kann zu<br />

Haus nur schleichen, / weil wochenlanger Staub<br />

gefallen war / Und keine zarte Hand wird ihm<br />

<strong>als</strong> Zeichen / <strong>Der</strong> Treue Zeitung und Pantoffel<br />

reichen. / Und auch sein Bett nutzt er meist<br />

singular. / [...]” (150. Stiftungsfest des Corps<br />

Teutonia Marburg, Marburg 1975, S. 17 ff)<br />

Kein Kommentar...<br />

Literaturangaben:<br />

Stephan Peters, Studentische Korporationen,<br />

Gemeinschaften mit elitärer Zielsetzung, in: AstA<br />

der Heinrich- Heine-Universität Düsseldorf (Hrsg.),<br />

Verbindungs- (Un)Wesen, Anachronismus an den<br />

Hochschulen?, Düsseldorf 2002<br />

Michael Meuser, Männerwelten. Zur kollektiven<br />

Konstruktion hegemonialer Männlichkeit, 1.<br />

Tagung AIM Gender, Stuttgart 2001,<br />

http://www.ruendal.de/aim/pdfs/Meuser.pdf<br />

Alexandra Kurth, Männer, Bünde, Rituale,<br />

Studentenverbindungen seit 1800, Frankfurt a. M.<br />

2004<br />

Pierre Bourdieu, Die männliche Herrschaft, in:<br />

Dölling, Irene/Krais, Beate (Hrsg.), Ein<br />

alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der<br />

sozialen Praxis, Frankfurt a.M. 1997<br />

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<strong>Der</strong> 30. Januar 1933<br />

Teil 5: Burschenschaften im 3. Reich<br />

Am Beispiel der Deutschen Burschenschaft<br />

„Was wir seit Jahren ersehnt und erstrebt und wofür<br />

wir im Geiste der Burschenschafter von 1817 jahraus<br />

jahrein an uns und in uns gearbeitet haben, ist<br />

Tatsache geworden. Das deutsche Volk hat bei der so<br />

eben abgeschlossenen Wahl zu den gesetzgebenden<br />

Körperschaften <strong>zum</strong> ersten Mal seit der Schmach von<br />

1918 bekannt, dass höchstes und oberstes Gut<br />

nationale Einheit und nationaler Freiheitswille ist. All<br />

unsere Arbeit galt immer dem deutschen Volke, an der<br />

Herbeiführung einer großen freien deutschen Nation<br />

tätig mitzuhelfen und mitzustreiten ist unser oberstes<br />

Gesetz. Die Willenskundgebung des deutschen Volkes,<br />

die der am 30. Januar 1933 von unserem uns immer<br />

<strong>als</strong> Vorbild dienenden Reichspräsidenten von<br />

Hindenburg zur Führung unseres Volkes berufenen<br />

Reichsregierung das Vertrauen aussprach, besagt<br />

gleichzeitig, dass alles Trennende hinter dem<br />

Gedanken an die Nation zurückzutreten hat.“<br />

Dieses Zitat stammt von führenden<br />

Verbandsfunktionären der Deutschen Burschenschaft<br />

(DB), verfasst in der Märzausgabe der<br />

Burschenschftlichen Blätter:<br />

Max Droßbach (Vorsitzender des Hauptausschussess),<br />

Heinz Heinrichs (stellvertretender für die vorsitzende<br />

Burschenschaft) und Werner Zintarra (Ausschuß für<br />

vaterländische Arbeit).<br />

Für diese Personen erfüllt sich „ die alte Sehnsucht<br />

der Urburschenschaft nach einem machtvollen<br />

großdeutschen Reich“ mit der Machtergreifung der<br />

Nazis.<br />

An den Universitäten unterstützte neben der DB auch<br />

der Verband der Vereine Deutscher Studenten<br />

(VVDsT) die Machtergreifung.<br />

So organisierten sie die am 10. Mai 1933 in Hamburg<br />

stattfindende Bücherverbrennung, die unter dem<br />

Motto: „Aktion wider den undeutschen Geist“ standen.<br />

Ebenso beteiligten sie sich rege an Kundgebungen.<br />

Am 22. April 1933 wurde die Deutsche<br />

Studentenschaft rechtlich anerkannt, was ihr während<br />

der Zeit der Weimarer Republik nicht gelang;<br />

Mitgliedschaft wurde nach völkisch-rassischen<br />

Gesichtspunkten diskutiert, ihre Organisation nach<br />

dem Führerprinzip strukturiert und das Fechten von<br />

Mensuren, bisher verboten, wieder erlaubt.<br />

Gleiches gilt für Verbindungen. Sie sollen ihr<br />

Konventsprinzip aufgeben und ihre Mitglieder nach<br />

der „Arierreglung“ aussuchen, die Studenten sollten<br />

sich in Zukunft an der NS-Erziehung beteiligen.<br />

Um diese Neureglungen durchzusetzen bedurfte es<br />

einer Neuordnung innerhalb der DB:<br />

„<strong>Der</strong> in der Verfassung der Deutschen Burschenschaft<br />

festgelegte Innenaufbau der Deutschen<br />

Burschenschaft gestattet nur in beschränktem Maße<br />

einen politischen Einsatz der Deutschen<br />

Burschenschaft. Von den Unterzeichneten wurde<br />

daher die unbedingte Notwendigkeit einer völligen<br />

Neugliederung des Gesamtverbandes erkannt.“<br />

Es folgte eine Tagung der Amtsleiter in Berlin am 7.<br />

Mai 1933. Dort legten diese ihre Ämter nieder und<br />

übertrugen ihre Befugnisse auf Otto Schwab.<br />

Dies kommt einer freiwilligen Gleichschaltung sehr<br />

nahe und zeigt nur all zu deutlich die<br />

Kooperationsbereitschaft der DB.<br />

In einem „Führerbrief“ ordnete Schwab die<br />

Neugestaltung nach dem Führerprinzip innerhalb der<br />

Verbindungen und die strikte Anwendung des<br />

Ariernachweises an. In dem gleichen Brief erklärt<br />

Schwab, dass „die Deutsche Burschenschaft ein<br />

nation<strong>als</strong>ozialistischer Bund“ sei.<br />

Im Juni 1933 ordnete Schwab die „freiwillige<br />

Einweisung in den NSDStB“ an und im Oktober ließ er<br />

verlautbaren, dass alle Burschenschafter unter 35<br />

Jahren der SS, SA oder dem „Stahlhelm“ anzugehören<br />

haben.<br />

„Rein arische Abstammung“<br />

„Während für die Neuaufnahme in die D.B. die<br />

Erklärung, nach bestem Wissen und Gewissen rein<br />

arischer Abstammung zu sein, abgegeben werden<br />

muss, ist für das Ausscheiden aus der D.B. <strong>als</strong> Grenze<br />

in der Ahnenfolge festgelegt worden, dass derjenige<br />

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Teil 5: „Burschenschaften im 3. Reich“ - Seite 1 von 2


leiben kann, bei dem unter den 8 Urgroßeltern<br />

höchstens ein Jude ist …“<br />

Unbeeindruckt von dieser Neuregelung, die auch auf<br />

die Alten Herren anzuwenden war, weigerten sich drei<br />

Burschenschaften diese Regelung anzuwenden. Es<br />

folgte der Ausschluss aus der DB, denn nach<br />

„burschenschaftlicher Auffassung erfordern der Ernst<br />

und die Wichtigkeit der … Erziehung<br />

kompromissloses Eingehen auf die Linie der NSDAP“.<br />

Um eine solche Erziehung zu gewährleisten gründete<br />

die DB zusammen mit dem VVDSt, dem Verband der<br />

Turnerschaften, die Deutsche Sängerschaft, die<br />

Deutsche Wehrschaft und den Nauenburger Verband<br />

den „Völkischen Waffenring“, dessen Ziel es war,<br />

seinen Mitgliedern „… eine einheitliche Fecht- und<br />

Boxausbildung …“ zukommen zu lassen.<br />

Die Selbstauflösung<br />

Nach einigen Meinungsverschiedenheiten zwischen<br />

der DB und der Gemeinschaft Studentischer Verbände<br />

(GStV), trat die DB aus diesem Verband aus.<br />

Die DB warf dem GStV vor, die nation<strong>als</strong>ozialistische<br />

Umgestaltung zu verlangsamen, wenn nicht sogar zu<br />

blockieren.<br />

Kurze Zeit danach war der „Führer“ der DB bemüht,<br />

die Überführung der DB in den Nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Deutschen Studentenbund (NSDStB) zu forcieren:<br />

„Alle Mitglieder des NSDStB müssen künftig in einer<br />

DB- Kameradschaft aktiv werden. Die DB habe<br />

bereits 123 Kameradschaften zur Verfügung gestellt.<br />

Weitere 77 würden ausgesucht werden. Im ganzen<br />

wolle der NSDStB 200 Korporationen aufrecht<br />

erhalten.“<br />

Zum einen kann man den Versuch der DB erkennen,<br />

in der Gleichschaltung eine Sonderrolle zu<br />

übernehmen, <strong>zum</strong> anderen kann man den härteren<br />

Umgang seitens des NSDStB mit den Korporationen<br />

erkennen.<br />

Maisingen der student. Verbindungen 1998 auf dem Tübinger<br />

Holzmarkt<br />

Darauf reagierte die DB am 6. Oktober 1935 mit ihrer<br />

Selbstauflösung und übergab wenig später, am 18.<br />

Oktober 1935, dem NSDStB- „Führer“ die Fahne der<br />

Urburschenschaft.<br />

Mitglieder der Göttinger Burschenschaft Frisia<br />

kommentierten das Ereignis so: „Eine Korporation<br />

aber gegen den Willen des Führers können wir nicht<br />

aufrecht erhalten, weil wir uns alle zu ihm bekennen.<br />

Möge die 'neue Form' studentischer Gemeinschaft, der<br />

NSDStB, unsere Stelle würdig vertreten.“<br />

Ähnlichen Inhalts sind alle Stellungnahmen seitens der<br />

Korporationen.<br />

Georg Heer, ein Burschenschafter, sieht die Lage so:<br />

„So konnte denn die vereinigte Deutsche<br />

Burschenschaft seit dem Ende des Weltkrieges in<br />

vorbildlicher Weise auftreten für Rassenbereinigung,<br />

für Beseitigung des Parteiwesens und der<br />

Parlamentsherrschaft, für Wehrhaftmachung des<br />

deutschen Volkes und für den Schutz des Auslandsund<br />

Grenzlanddeutschtums, und sie trug nicht ohne<br />

Erfolg solche Bestrebungen auch in die gesamte<br />

Studentenschaft.“ Sie habe sich „<strong>als</strong> Wegbereiterin<br />

erwiesen für die Wideraufrichtung des deutschen<br />

Reiches und Zurückführung der österreichischen<br />

sudetendeutschen Volksgenossen in das nunmehrige<br />

Großdeutsche Reich durch Adolf Hitler …“.<br />

Kein Zeichen von Widerstand oder wenigstens<br />

Missbilligung lassen diese Zeilen erkennen. Sie<br />

rühmen vielmehr die Rolle, die die Burschenschaften<br />

vor und bei der Machtergreifung spielten.<br />

Politisch und ideologisch lagen die Korporationen <strong>als</strong>o<br />

auf der Linie der NSDAP und standen, anders <strong>als</strong> oft<br />

behauptet, nicht dazu im Widerspruch, sondern fügten<br />

sich eher bereitwillig in das Herrschaftssystem ein.<br />

Fand dann doch der eine oder andere<br />

Verbindungsstudent oder Alte Herr den Weg in den<br />

Widerstand, so handelte er ohne die Einstimmung<br />

seines Dachverbands; gemessen an der Zahl<br />

derjenigen, die auf der Linie der NSDAP<br />

lagen, fällt ihr Anteil sehr bescheiden aus.<br />

Alle Zitate entnommen aus dem Buch: „Blut und<br />

Paukboden“,<br />

von Heither, Gehler, Kurth, Schäfer, 1997<br />

erschienen im Fischer Taschenbuchverlag,<br />

Frankfurt am Main<br />

Bildnachweise:<br />

http://www.cityinfonetz.de/tagblatt/archiv/1998/ -<br />

maisingen/maisingen3.html<br />

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Teil 5: „Burschenschaften im 3. Reich“ - Seite 2 von 2


Teil 6: Mut zur Lücke<br />

oder die „Generation des Unbedingten“ wird verschwiegen<br />

Die selektive bis verfälschende Geschichtsschreibung studentischer Verbindungen und ihre<br />

Bedeutung <strong>als</strong> präfaschistische Sozialisationsagenturen<br />

In seinem Aufsatz über die „postfaschistische<br />

Restauration und verdrängte Vergangenheit der Jahre<br />

1871-1945“ skizziert Ludwig Elm das methodische<br />

Vorgehen studentischer Verbindungen in ihrer<br />

Öffentlichkeitsarbeit folgendermaßen:<br />

„Frühe, weithin progressive Phasen wie<br />

insbesondere die antifeudale, liberale bis<br />

demokratisch-revolutionäre Periode des Vormärz und<br />

der Revolution von 1848/49 werden <strong>als</strong><br />

Frühgeschichte der Burschenschaften ausgiebig,<br />

häufig ganz, überwiegend oder ausschließlich<br />

berücksichtigt, <strong>zum</strong>indest stark hervorgehoben.“ 1<br />

Die Zeit zwischen 1871 und 1945 wird jedoch<br />

ausgeblendet. Weimarer Republik und<br />

Nation<strong>als</strong>ozialismus werden eventuell damit<br />

kommentiert, dass studentische Verbindungen von den<br />

Nation<strong>als</strong>ozialisten ja verboten worden wären. Am<br />

Beispiel der Tübinger Königsgesellschaft Roigel lässt<br />

sich dies sehr gut illustrieren.<br />

Die Tübinger Königsgesellschaft Roigel ist heute eine<br />

Farbentragende (Schwarz-Gold-Rot) nicht schlagende<br />

Verbindung. Als Ersatz wird dort gedichtet. Die<br />

Königsgesellschaft betreibt auch heute noch die<br />

üblichen Sauf- und Kneipenzeremonien und<br />

„Kommers“. Die erniedrigende Fuxen- bzw.<br />

Einsteigerzeit scheint aufgelockert bzw. fast ganz<br />

abgeschafft zu sein. Trotz der, im Vergleich z.B. zu<br />

schlagenden Verbindungen, „softeren“ Ritualpraxis<br />

pflegt auch der Roigel das übliche<br />

verbindungsstudentische Geschichtsbild: Klickt man<br />

auf der Homepage auf die Geschichte der<br />

1 Elm, Ludwig: Postfaschistische Restauration und<br />

verdrängte Vergangenheit der Jahre 1871-1945. In:<br />

Projekt Konservatismus und Wissenschaft e.V. (Hg):<br />

Verbindende Verbände. Marburger Beiträge zur<br />

Geschichte und Gegenwart studentischer Verbindungen,<br />

Bd. 5. Marburg, 2000, S. 14<br />

Königsgesellschaft, wird dort nur die Zeit zwischen<br />

1815 und 1848 beleuchtet. Den einzigen Hinweis auf<br />

die zeitgeschichtlichen Vorgänge im Roigel muss man<br />

suchen. Sie befinden sich unter „Roigel heute“:<br />

„Auch eine ganze Reihe von Männern aus unserer<br />

Verbindung hat während des dritten Reiches im<br />

Rahmen der „Bekennenden Kirche“ aber auch<br />

anderweitig gegen das NS-Regime, unter dem alle<br />

Verbindungen überdies verboten waren, aktiv Stellung<br />

bezogen. Auch der geistige Vater der Bekennenden<br />

Kirche, der Schweizer Theologe Karl Barth, trug in<br />

seiner Tübinger Studienzeit das schwarz-gold-rote<br />

Roigelband.“ 2<br />

<strong>Der</strong> Leser bekommt folgenden Eindruck: Die<br />

Königsgesellschaft war eine Sozialisationsagentur für<br />

den Widerstand. Nachdem Verbot der Verbindung<br />

organisierte man sich <strong>als</strong> eine Art Widerstandsgruppe<br />

in der „bekennenden Kirche“ gegen die<br />

Nation<strong>als</strong>ozialistische Diktatur. Die Benennung von<br />

wichtigen Einzelpersonen scheint dies zu beweisen. Ist<br />

dies eine realistische Geschichtsdarstellung?<br />

Bei der Bundeszentrale für politische Bildung kann<br />

man nachlesen:<br />

„Widerstand im politischen Sinne, in der Absicht, das<br />

nation<strong>als</strong>ozialistische Regime zu stürzen, hat die<br />

Bekennende Kirche <strong>als</strong> Ganzes nicht geleistet.“ 3<br />

Sie hat sich vielmehr gebildet <strong>als</strong> der NS-Staat<br />

versuchte in die organisatorischen Strukturen der<br />

evangelischen Kirche einzugreifen und sie<br />

gleichzuschalten. Auf einer zweiten Ebene bestand<br />

außerdem ein „Kirchenstreit“ mit den „Deutschen<br />

2 www.koenigsgesellschaftroigel.de/Geschichte/Roigel_heute/body_roigel_heute.ht<br />

ml . Recherchiert am 09.10.03<br />

3 www.bpb.de/publikationen/1XJYAC,0,0,Kirchen_Selbs<br />

tbehauptung_und_Opposition.html . Recherchiert am<br />

10.10.03<br />

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Teil 6: „Mut zur Lücke“ - Seite 1 von 4


Christen“ um die „richtige“ kirchliche Lehre. Karl<br />

Barth war ein Theologieprofessor, der hier die<br />

wissenschaftlich-theologische Grundlage für die<br />

„Bekennende Kirche“ legte. Viele Aktive der<br />

„bekennenden Kirche“ wurden dann auch bald (ab<br />

1933) vom Nation<strong>als</strong>ozialismus verfolgt und<br />

drangsaliert. Karl Barth jedoch taucht übrigens in den<br />

„Burschenschafterlisten“ von 1940, die auch die<br />

Mitgliederlisten der Königsgesellschaft von 1835 -<br />

1935 umfassen, nicht auf 4 .<br />

Die Nennung von solchen prominenten<br />

Einzelmitgliedern wird häufig in der<br />

verbindungsstudentischen Öffentlichkeitsarbeit<br />

benutzt, um eine kollektive Mentalität innerhalb der<br />

Verbindung zu suggerieren, die dann der Mentalität<br />

der Berühmtheit entsprechen soll. Diese selektive<br />

Personalisierung des Wirkens einer Korporation ist<br />

mentalitätsgeschichtlich kaum haltbar. Zur Illustration<br />

dieser Verfahrensweise soll hier einmal genauso<br />

verfahren werden – nur eben aus der anderen<br />

Richtung:<br />

Unter den Jahrgängern von 1928 (Eingetretene) taucht<br />

ein weiterer „Prominenter“ auf: Erich Ehrlinger. 5 Er<br />

wurde am 14.10.1910 in Giengen an der Brenz<br />

geboren und kam wahrscheinlich 1928 nach Tübingen<br />

um Jura zu studieren und trug ab da das „schwarzgold-rote“<br />

Roigelband. Nach vier Semestern, im April<br />

1930 wechselte er nach Kiel und ein Semester später<br />

nach Berlin (Studienortwechsel waren in der Weimarer<br />

Republik üblich). Dort schloss er sich im Mai 1931<br />

dem Charlottenburger Sturm der SA an, der unter dem<br />

Gauleiter Joseph Goebbels mit äußerster Gewalt gegen<br />

Juden und Kommunisten vorging. Diese Strategie<br />

sollte die linke Hegemonie in der Reichshauptstadt<br />

brechen und erzeugte Verletzte und Tote<br />

(Sa<strong>als</strong>chlachten, Schlägereien, Hetzjagden,<br />

Straßenkampf). Nach seinem „Gewaltsemester“ von<br />

4 Vgl. Schmidgall, Georg: Burschenschafterlisten.<br />

Geschichte und Mitgliederverzeichnisse<br />

burschenschaftlicher Verbindungen in Tübingen 1816 bis<br />

1936. Görlitz, 1940. Für das Fehlen Karl Barths sind<br />

mehrere Erklärungsmodelle möglich: 1. Die Angabe im<br />

Roigeltext stimmt nicht. 2. Karl Barth war weniger <strong>als</strong><br />

zwei Semester Mitglied im Roigel 3. Karl Barths<br />

Mitgliedschaft war dem Roigel, auf deren Angaben die<br />

Listen beruhen, um 1936 herum peinlich 4. <strong>Der</strong><br />

Herausgeber hat ihn von der Liste entfernt.<br />

5 Ebda, S. 157. Dies steht allerdings im Gegensatz zu<br />

Wildt, Michael: Generation des Unbedingten. Das<br />

Führungskorps des Reichsicherheitshauptamtes.<br />

Hamburg, 2002, S.92. Er schreibt dort in einem eigenen<br />

Kapitel über die Sozialisation späterer Kriegsverbrecher<br />

in Tübingen („Revolutionäre Militanz. <strong>Der</strong> Fall<br />

Tübingen“): „Erich Ehrlinger kam im November 1931<br />

nach Tübingen“. Wahrscheinlich handelt es sich um einen<br />

Schreibfehler, da er sich später selbst widerspricht, indem<br />

er ihn nach vier Semestern „im April 1930“ nach Kiel<br />

gehen lässt.<br />

Mai bis September kehrte der Korporierte nach<br />

Tübingen zurück und arbeitete maßgeblich am Ausbau<br />

der Macht des Nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Studentenbundes innerhalb der studentischen Gremien<br />

mit. Er gehörte während der Machtergreifung zu den<br />

Tübinger Aktivisten. 1933 absolvierte er sein erstes<br />

Staatsexamen und wurde Gerichtsreferendar am<br />

Amtsgericht in Tübingen und engagierte sich weiterhin<br />

in der SA. Aus einem SA-Zeugnis:<br />

„Durch seinen ehrlichen, offenen Charakter und sein<br />

strenges aber kameradschaftliches Auftreten hat sich<br />

Ehrlinger bei Führern und Männern beliebt gemacht.<br />

[...] Obersturmführer Ehrlinger ist der Typ des<br />

unbeirrbaren, überzeugten, kompromisslosen und<br />

vorwärtsdrängenden [...] und fähigen Führers.“ 6<br />

Halten diese männerbündischen Eigenschaften nicht<br />

auch Korporationen hoch?<br />

Irgendwann 1934 bricht er seine juristische Karriere ab<br />

und geht auch beruflich in der SA auf. Als die SA<br />

„umorganisiert“ wird, bittet er im April 1935 um<br />

Entlassung aus ihr und geht im September nach Berlin<br />

<strong>zum</strong> Hauptamt des Sicherheitsdienstes (SD) der SS.<br />

„<strong>Der</strong> SD-Oberabschnitt Südwest unter Gustav Adolf<br />

Scheel [Tübinger Korporierter beim Verein deutscher<br />

Studenten, VDSt Tübingen 7 , Anm. d. Red.] war ein<br />

wichtiges Rekrutierungsfeld für die Führung des SD<br />

im Reichsicherheitshauptamt“ 8 .<br />

Weitere fünf spätere Führungspersönlichkeiten<br />

rekrutierte Scheel dort für den Sicherheitsdienst der<br />

SS, allein drei aus Tübingen. So z.B. Eugen Steimle.<br />

Es müsste auch mit größter Wahrscheinlichkeit Eugen<br />

Steimle sein, über den es in der Tübinger Chronik vom<br />

24.05.1933 heisst:<br />

„An Stelle des seitherigen Führers der Tübinger<br />

Studentenschaft [...] ist [...] der seitherige Leiter des<br />

Hauptamtes für politische Erziehung <strong>ca</strong>nd. Phil.<br />

Steimle – Normannia Tübingen <strong>zum</strong> Führer der<br />

Tübinger Studentenschaft ernannt worden“. 9<br />

Auch auf der Homepage der Normannia findet sich<br />

kein Hinweis darauf, dass Eugen Steimle Mitglied<br />

gewesen sein könnte bzw. <strong>als</strong> Normanne und<br />

gleichzeitiges Mitglied des Nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Deutschen Studentenbundes <strong>als</strong> Führer der Tübinger<br />

Studentenschaft an der Faschisierung der Studierenden<br />

6 Siehe ebda, S. 168<br />

7 siehe www.frankfurterverbindungen.de/korporierte/s.html<br />

. Recherchiert am<br />

07.10.03<br />

8 Wildt, 2002, S. 172<br />

9 Zitiert nach Tübinger Vereinigung für Volkskunde e.V.<br />

(Hg): O Alte Burschenherrlichkeit. Material zur<br />

Ausstellung des Ludwig-Uhland-Institutes für empirische<br />

Kulturwissenschaft. Tübingen, 1978, S. 164<br />

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Teil 6: „Mut zur Lücke“ - Seite 2 von 4


mitgewirkt hat. Vorsitzender der<br />

Nation<strong>als</strong>ozialistischen Hochschulgruppe in Tübingen<br />

während der Machtergreifung war Gerhard Schumann<br />

von der studentischen Verbindung Luginsland. Er<br />

wurde <strong>als</strong> Landesführer des NSDStB im April 1933<br />

<strong>zum</strong> Kommissar für die württembergischen<br />

Studentenschaften ernannt und besorgte ihre<br />

Gleichschaltung. 10<br />

<strong>Der</strong> SD innerhalb der SS, in dem Steimle, Ehrlinger<br />

und andere Korporierte dann tätig wurden, forschte<br />

nicht nur die Gegner, die eigenen Leute oder das<br />

Ausland aus. Schon vor 1939 war der SD an der<br />

Verfolgung von Juden beteiligt. Danach an der<br />

Deportation. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion<br />

1941 rekrutierten sich die sogenannten<br />

„Einsatzgruppen“ teilweise aus SD-Leuten: Vor allem<br />

die Kommandeure dieser „Einsatzgruppen“ waren<br />

Intellektuelle. So auch Ehrlinger und<br />

Steimle. Steimle wurde in den Nürnberger<br />

Prozessen allein für die drei Monate in<br />

denen er das Sonderkommando 7a der<br />

Einsatzgruppe B befehligte, die<br />

Verantwortung für die Ermordung von 500<br />

Menschen nachgewiesen. 11 Erich Ehrlinger<br />

gehörte mit einem weiteren ehemaligen<br />

Tübinger Jurastudenten (Dr. Martin<br />

Sandberger) zur Einsatzgruppe A. <strong>Der</strong>en<br />

Leiter Walter Stahlecker (ebenfalls<br />

promovierter Jurist aus Tübingen 12 ) wird<br />

dafür verantwortlich gemacht, zusammen<br />

mit seinem „Team“ nach eigenem<br />

Tätigkeitsbericht bis <strong>zum</strong> 01.02.1942 für<br />

die Ermordung von 240410 Menschen (!)<br />

verantwortlich zu sein. 13 Ehrlinger brachte<br />

es sogar bis <strong>zum</strong> Abteilungsleiter für<br />

Personal, Ausbildung, Organisation im<br />

Reichssicherheitshauptamt. 14<br />

Die Suggesstion einer verbindungsstudentischen<br />

Mentalität in Bezug auf nation<strong>als</strong>ozialistisches<br />

Gedankengut über „prominente“ Kritiker und<br />

engagierte Einzelpersonen funktioniert eindrücklich<br />

auch zur Negation des Mythos von studentischen<br />

Verbindungen im Widerstand und <strong>als</strong> Opfer des NS-<br />

Regimes. Ja sogar mehr noch: Wichtig wäre es z.B.<br />

10 ebda., S. 165<br />

11 siehe z.B. Rüggeberg, Jens: Eugen Steimle und die<br />

„Heimkehrertafel“ unter<br />

www.tagblatt.de/tagblatt/drucken.php?data_table=artikeld<br />

aten&id=34897 . Recherchiert am 23.08.03<br />

12 Vgl. www.tuebingen.de/kultur/juden/00.html<br />

13 siehe Junginger, Horst: Tübinger Exekutoren der<br />

Endlösung. www.homepages.unituebingen.de/gerd.simon/exekutoren.pdf<br />

Recherchiert<br />

28.09.03<br />

14 Vgl. mit Höhne, Heinz: <strong>Der</strong> Orden unter dem<br />

Totenkopf. Die Geschichte der SS. Hamburg und<br />

Gütersloh, 1966/67<br />

die Listen des SD, der zu 60 % aus Akademikern<br />

bestand, mit Mitgliederlisten von studentischen<br />

Verbindungen abzugleichen. Erst dieser Vorgang<br />

brächte Gewissheit, ob die Sozialisation über eine<br />

studentische Verbindung durch ihre Hierarchien und<br />

Männlichkeitsrituale (wie Mensur oder Kneipe) durch<br />

den völkischen Nationalismus und Antisemitismus,<br />

den studentische Verbindungen in der Weimarer<br />

Republik transportierten, eine Mitverantwortung an<br />

der Ausbildung solcher begeisterter, intellektueller und<br />

gewissenloser SD-Charaktere hatte. In der neuen<br />

mentalitätsgeschichtlichen Forschung fahndet man<br />

nach den ausschlaggebenden Teilen von Identität, die<br />

auf diese „Generation des Unbedingten“ zutreffen.<br />

Michael Wildt hat versucht einheitliche Topoi in den<br />

verschiedenen Biographien zu finden. Er beschreibt<br />

die Lebenswege dieser jungen Akademiker jedoch in<br />

Bezug auf die üblichen soziologischen Merkmale wie<br />

z.B. Religionszugehörigkeit <strong>als</strong> z.T. sehr inhomogen.<br />

Ihm gelingt es eher eine Art „Stil“ einer Generation zu<br />

ermitteln. Zum ersten erkennt Wildt:<br />

„So ist der Topos der Gemeinschaft, des Bundes, des<br />

Bündischen – <strong>als</strong>o die Form des Sozialen, die nicht in<br />

der Masse aufgeht, nicht in Reih und Glied<br />

marschiert, sondern sich im Gegenteil von ihr <strong>als</strong><br />

auserwählte Elite streng abhebt – für diese Männer<br />

prägend“. 15<br />

Ein erschreckend ähnlicher Wert zu denen, die<br />

studentische Verbindungen auch heute noch vertreten.<br />

Zugespitzt wurde dieses Elitebewusstsein durch die<br />

Verinnerlichung eines Verständnisses der sozialen<br />

Ordnung, wo die Wertigkeit des einzelnen Menschen<br />

durch ein Führerverständnis geprägt war. Auch<br />

gegenüber sich selbst:<br />

“Was diese jungen Männer in ihrem<br />

Führerverständnis anlegten, war die<br />

15 Wildt, 2002, S. 138<br />

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Selbstbegründung durch den Erfolg, die<br />

Rechtfertigung der Überlegenheit durch das<br />

erfolgreiche Handeln des Stärkeren.“ 16<br />

In vielen Verbindungen gilt auch heute noch das<br />

Leistungsprinzip: Wer nach einer bestimmten<br />

Studienzeit keine Erfolge erzielt (z.B.<br />

Zwischenprüfung in der vorgesehenen Zeit) kann seine<br />

Mitgliedschaft verwirken oder wird unter Druck<br />

gesetzt. Die Theorie- und Diskussionsimmunität dieser<br />

„Generation des Unbedingten“ wird von Wildt<br />

hervorgehoben:<br />

“Wo die Tat die Idee beweisen soll, wird die Idee<br />

immunisiert, gegen den Widerspruch geschützt, gegen<br />

den Einwand abgeschottet. Statt dessen findet die<br />

‚Beweisführung’ auf dem ‚Schlachtfeld’ der Praxis<br />

statt.“ 17<br />

Ein zweiter Topos im Charakter der damaligen SS-<br />

Elite sieht Wildt in ihrem Verständnis von einem<br />

neuen zukünftigen Reich. Es sollte in einer<br />

zukünftigen Volksgemeinschaft geschaffen werden.<br />

Das Volk war für sie eine bestimmte Ethnie, über<br />

Gene und Kultur aneinander gebunden. Weil sie für<br />

diese Zukunft der Volksgemeinschaft eintraten,<br />

verstanden sie sich <strong>als</strong> modern, revolutionär und<br />

zukunftszugewandt. Auch heute noch heißt es auf der<br />

Homepage des Vereins deutscher Studenten (mit<br />

einem Mitgliedsbund in Tübingen):<br />

“Identität wird <strong>als</strong>o durch die Zugehörigkeit zu<br />

Kollektiven bestimmt. [...]. Die Gene geben uns vor,<br />

welcher Rasse wir angehören.“ 18<br />

Einen dritten Topos im Charakter der SS-Elite stellt<br />

Wildt auch gemeinsam mit Christian Ingrao fest: Es ist<br />

die eschatologische (endzeitliche) Angst der<br />

damaligen nationalistisch orientierten<br />

Studierendengeneration vor ihrer Zukunft. Sie<br />

empfanden das deutsche Volk <strong>als</strong> militärisch,<br />

wirtschaftlich und rassisch bedroht Die völkische<br />

Variante der „sozialistischen“ Orientierung in der<br />

NSDAP in der Weimarer Republik war für die<br />

konservative Studentenelite dam<strong>als</strong> übrigens meist<br />

kein Hindernis. Ingrao zitiert Werner Best, 1939 Chef<br />

des Amtes I im Reichsicherheitshauptamt:<br />

„Die Massenwerbung der NSDAP und ihr ganzer Stil<br />

waren mir unsympathisch. Da jedoch die ersten<br />

Möglichkeiten – ‚Revolution von oben’ – sich nicht<br />

erfüllten [...] trat ich [...] <strong>als</strong> bewusster<br />

‚Septemberling’ am 1. November 1930 in die NSDAP<br />

ein. [...] Das Parteiprogramm [...] war für mich kein<br />

Problem, da es praktisch mit allen Programmen in der<br />

nationalen oder völkischen Bewegung übereinstimmte.<br />

[...] eine Kompilation verschiedener, ‚in der Luft<br />

liegender’ Tendenzen.“ 19<br />

Einer der wichtigsten Topoi des damaligen Charakters<br />

16 ebda., S. 139<br />

17 ebda., S. 140<br />

18 siehe www.vdst.net/node.php?id=319 . Recherchiert<br />

am 09.10.03<br />

der SS-Elite, so Ingrao und Wildt, war allerdings die<br />

Militanz dieser Menschen, die vor allem auf eine nicht<br />

stattgefundene „kulturelle Demobilisierung“ im<br />

„Volkstumskampf“ zurückzuführen ist. Dies<br />

bedeutete: „Militanz wurde <strong>als</strong> ein defensives<br />

Verhalten begriffen, das eine nahtlose Fortführung<br />

des ersten Weltkrieges darstellte.“ 20<br />

Gerade das Korporationswesen transportierte in der<br />

Weimarer Republik diese Militanz. Das<br />

Korporationswesen war gerade in Tübingen die größte<br />

studentische Sozialisationsagentur: Zwischen 70 und<br />

80 % der Studierenden waren in einer Korporation<br />

organisiert. Auch Ute Wiedenhoff stellt in ihrer<br />

mentalitätsgeschichtlichen Fallstudie (über die<br />

Verbindung Igel und das Corps Franconia) über die<br />

„Kontinuitäten korporierter Mentalität“ in ihrem<br />

Resümee fest:<br />

Es gibt eine Kontinuität im Wertekanon, der von der<br />

Gemeinschaft der Korporierten getragen wurde.<br />

Mehrheitlich hielten sie an ihrer erlernten<br />

Konfliktbewältigungsstrategie, dem Kampf fest. [...]<br />

Er rechtfertigt auch den Einsatz der<br />

Verbindungsstudenten im Tübinger<br />

Studentenbataillon, das im Frühjahr 1919 in Stuttgart<br />

gegen den Gener<strong>als</strong>treik [...] eingesetzt war [...]. Jetzt<br />

hofften die Korporierten auf die ‚Wiedergeburt des<br />

deutschen Geistes’, damit man ‚Rache’ nehmen könne<br />

[...]. Für ihre Einstellungen bedeutete der erste<br />

Weltkrieg insgesamt betrachtet keinen Bruch.<br />

Vielmehr scharten die Korporierten sich in der<br />

Weimarer Republik noch enger zusammen, übten den<br />

Schulterschluss gegen einen zunehmend <strong>als</strong> feindlich<br />

empfundenen Staat.“ 21<br />

Auch heute noch gedenkt so manche Tübinger<br />

Verbindung an regelmäßigen Tagen ihren gefallenen<br />

Kameraden und pflegt die Mensur <strong>als</strong><br />

Erziehungsstrategie. Bei der Tübinger Germania<br />

(schlagend) steht im Garten oberhalb der<br />

Neckarbrücke ein Gedenkstein, an welchem dem<br />

Kampfgeist der alten Kameraden auch heute noch an<br />

bestimmten Tagen gedacht wird. 22<br />

19 Ingrao, Christian: Deutsche Studenten, Erinnerung an<br />

den Krieg und nation<strong>als</strong>ozialistische Militanz. Eine<br />

Fallstudie. In: Wildt, Michael (Hg): Nachrichtendienst,<br />

politische Elite und Mordeinheit. <strong>Der</strong> Sicherheitsdienst<br />

des Reichsführers SS. Hamburg, 2003, S. 153<br />

20 ebda., S. 158<br />

21 Wiedenhoff, Ute: „...dass wir auch diese größte<br />

Mensur unseres Lebens in Ehren bestehen werden.“<br />

Kontinuitäten korporierter Mentalität im Ersten<br />

Weltkrieg. In: Hirschfeld, Gerhard / Krumeich, Gerd /<br />

Langewiesche, Dieter / Ullmann, Hans-Peter (Hg):<br />

Kriegserfahrungen. Studien zur Mentalitätsgeschichte<br />

des Ersten Weltkriegs. Essen, 1997, S. 204-207<br />

22 Nach den Aussagen der Aktivitas der Germania bei<br />

einem Besuch durch die Fachschaft Politik<br />

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Teil 6: „Mut zur Lücke“ - Seite 4 von 4


Teil 7: Verbindungen und Rechtsextremismus<br />

Für die einen sind alle Verbindungsleute Neonazis;<br />

die Korporierten selbst antworten auf entsprechende<br />

Fragen oder Vorwürfe meist, ihre Verbindung sei<br />

unpolitisch und man würde stets mit wenigen<br />

"Extremen" in einen Topf geschmissen. Eine<br />

differenzerte Analyse der politischen Ausrichtung<br />

von Korporationen ist trotz oder gerade wegen der<br />

vielfältigen Strömungen notwendig; sie soll im<br />

folgenden zu skizzieren versucht werden.<br />

Zunächst gilt, dass keine studentische Verbindung<br />

unpolitisch sein kann - das stellte nicht zuletzt der<br />

Coburger Convent (CC), einer der größten<br />

Dachverbände, selbst fest: „Die Negierung<br />

politischer Tendenzen [...] kommt heute nicht mehr<br />

in Betracht, denn es gibt keine Immunität des<br />

Korporationsstudententums gegenüber dem<br />

Zeitgeschehen.“ 1<br />

Dachverbände<br />

Die politische Ausrichtung einer Verbindung lässt<br />

sich am besten anhand ihres jeweiligen Dach-<br />

Zu unserem Leben gehört<br />

auch die Pflege von<br />

bewährten Traditionen und<br />

dem Andenken an verdiente<br />

Bundesbrüder, die <strong>als</strong><br />

Vorbilder gelten können.<br />

Gerade die Generation der<br />

Weltkrieg-II-Teilnehmer<br />

muß sich heute, mehr <strong>als</strong> 55<br />

Jahre nach Kriegsende, <strong>als</strong><br />

ehrlose Verbrecherbande<br />

be-zeichnen lassen.<br />

Burschenschaft Germania<br />

2002, Hamburg<br />

verbandes<br />

ausmachen (siehe<br />

dazu Flugblatt 8<br />

"Dachverbände<br />

einiger Tübinger<br />

Verbindungen") -<br />

ihrem Dachverband<br />

stehen die<br />

jeweiligen<br />

Verbindungen in<br />

der Regel politisch<br />

sehr nah. Aus dem<br />

Vergleich der<br />

unterschiedlichen<br />

Dachverbände<br />

ergibt sich die<br />

"Faustregel", dass<br />

1 http://www.uniulm.de/uni/studenten/concordia/main/verb.html<br />

schlagende und farbentragende Verbindungen<br />

radikaler sind <strong>als</strong> solche, in denen beides verboten<br />

ist.<br />

Als am wenigsten radikal sind sicherlich<br />

gemischtgeschlechtliche und musische<br />

Verbindungen anzusehen, so beispielsweise der<br />

Akademische Turnerbund (ATB). Emanzipatorische<br />

oder linke Verbindungen allerdings gibt es nicht -<br />

dies schließt das allen Verbindungen gemeinsame<br />

Zwangssystem (sog. Erziehungsmittel, Lebensbundprinzip)<br />

aus. Es folgt der große Block<br />

konservativer, häufig katholischer Verbände: Als<br />

größter Zusammenschluss ist der Cartellverband der<br />

katholischen deutschen Studentenvereine (CV) mit<br />

etwa 32.000 Mitgliedern zu nennen, zu desen<br />

Mitgliedern politische Prominenz wie Friedrich<br />

Merz (CDU), Edmund Stoiber (CSU) oder Klaus<br />

Kinkel (FDP) angehört.<br />

Als streng konservativ bis rechts gelten allgemein<br />

schlagende Verbindungen. Dazu zählt der Coburger<br />

Convent (CC) mit 15.000 Mitgliedern. Das<br />

eigentlich rechtsextreme Spektrum innerhalb der<br />

Verbindungen umfasst die Deutsche Burschenschaft<br />

(DB) mit 15.000 Mitgliedern sowie Teile der Neuen<br />

Deutschen Burschenschaft (NDB) mit etwa 6.000<br />

Mitgliedern. Insgesamt sind etwa 10 % oder 16.000<br />

der deutschen Korporierten <strong>als</strong> rechtsextrem<br />

anzusehen.<br />

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Teil 7: „Verbindungen und Rechtsextremismus“ - Seite 1 von 2


Deutsche<br />

Burschenschaft<br />

Die Deutsche<br />

Burschenschaft wurde<br />

im Jahr 1815<br />

("Urburschenschaft")<br />

gegründet. Relevant<br />

für die jüngere<br />

Geschichte der DB ist<br />

ihre Ablehnung der<br />

Weimarer Republik<br />

aufgrund ihrer<br />

"Verbindung mit dem<br />

jüdischen Volk", die<br />

Unterstützung der<br />

NSDAP in den 20-er<br />

Jahren sowie die<br />

Begrüßung der<br />

Machtergreifung Hitlers 1933. 1935 wurde die DB<br />

in den NS-Studentenbund eingegliedert; ihre<br />

Neubegründung nach dem Ende des Dritten Reichs<br />

erfolgte 1950.<br />

Wir benötigen keine<br />

sogen. "Wehrmachtsausstellungen"<br />

oder<br />

ähnliche Peinlichkeiten,<br />

um uns ein Bild vom<br />

deutschen Soldaten zu<br />

machen.<br />

Burschenschaft Germania<br />

2002, Hamburg<br />

Die Deutsche<br />

Burschenschaft umfasst<br />

heute etwa 120<br />

Burschenschaften in<br />

Deutschland und<br />

Österreich. Seit der<br />

Neugründung kam es<br />

innerhalb der einzelnen<br />

Burschenschaften<br />

immer wieder zu<br />

neonazistischen<br />

Vorfällen; die Positionen des Verbandes an sich<br />

sprechen ebenso eine eigene Sprache:<br />

Nationalismus, Rassismus und Revisionismus sind<br />

an der Tagesordnung. Gefordert wird beispielsweise<br />

ein Deutschland in den Grenzen von 1939 (so bei<br />

einem Fackelzug auf die Wartburg 1990) oder die<br />

Wiedervereinigung Österreichs und Deutschlands<br />

(beim Burschentag 1995).<br />

Diese rechtsextremen Auswüchse innerhalb des<br />

Verbandes führten 1996 zur Abspaltung von acht<br />

Verbindungen und zur Gründung der "Neuen<br />

Deutschen Burschenschaft".<br />

An der Basis sieht es nicht besser aus: Immer<br />

wieder kommt es zu neonazistischen Vorfällen, in<br />

die Burschenschaftler verwickelt sind oder<br />

anzetteln. Prominentestes Beispiel ist mit Sicherheit<br />

die Burschenschaft Danubia in München: Sie steht<br />

seit geraumer Zeit unter Beobachtung des<br />

bayrischen<br />

Verfassungsschutzes,<br />

da "die Aktivitas<br />

(Studenten) der<br />

Burschenschaft<br />

Danubia [...] in der<br />

Vergangenheit<br />

Rechtsextremisten ein<br />

Forum für deren<br />

Vorträge [bot]."<br />

(Bayrisches<br />

Staatsministerium des<br />

Innern, Verfassungsschutzbericht<br />

2002, S.<br />

63)<br />

In der Tat sind<br />

Vorträge von<br />

führenden Rechtsextremisten und Neonazisten<br />

keine Seltenheit auf burschenschaftlichen Häusern:<br />

Horst Mahler, ehemaliger RAF-Verteidiger und<br />

heute aktives Mitglied der NPD, ist ebenso gern<br />

gesehener Gast wie<br />

Rolf Schlierer (Alter<br />

Herr der Gießener<br />

Burschenschaft<br />

Germania und<br />

Bundesvorsitzender<br />

der Republikaner)<br />

oder zahlreiche<br />

andere Intellektuelle<br />

aus der rechtsextremen<br />

Szene.<br />

Wir fürchten den<br />

Volkstod durch Unterwanderung<br />

mit Ausländern<br />

und fordern eine<br />

sanfte Rückführung von<br />

Fremden aus unserem<br />

Land.<br />

Burschenschaft Olympia<br />

2000, Wien<br />

Die Teilnahme an<br />

neonazistischen Demos (beispielsweise gegen die<br />

Wehrmachtsausstellung), antisemitische<br />

Schmierereien und Überfälle auf vermeintliche<br />

"Linke" sind keine Seltenheit. Als der Hausmeister<br />

der Marburger Burschenschaft Normannia-Leipzig<br />

beispielsweise nachts durch "Sieg Heil"-Rufe aus<br />

dem Bett gerissen wurde und sich beschweren<br />

wollte, wurden auf ihn Schüsse abgefeuert.<br />

Die reaktionären Burschenschaften sind allein<br />

aufgrund ihres teils radikalen rechten Gedankenguts<br />

abzulehnen. Doch notwendig wird die Forderung<br />

nach ihrer Abschaffung nicht zuletzt auch deshalb,<br />

weil die Funktion rechtsextremer Studenten <strong>als</strong><br />

potenzielle intellektuelle Avantgarde nicht<br />

unterschätzt werden darf.<br />

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Teil 7: „Verbindungen und Rechtsextremismus“ - Seite 2 von 2


Rechtsextreme Umtriebe: Die Straßburger<br />

Burschenschaften in Tübingen<br />

Die Straßburger Arminia zu Tübingen – eine<br />

Burschenschaft mit einer<br />

rechtsterroristischen Vergangenheit<br />

Die Straßburger Arminia kann in der jüngeren<br />

Geschichte der Bundesrepublik schon auf eine<br />

rechtsextreme Tradition zurückblicken. Schon<br />

Mitte der 70er Jahre organisierten sich auch<br />

Mitglieder der Straßburger Arminia zusammen<br />

mit hauptsächlich anderen<br />

Verbindungsstudenten im sogenannten<br />

Hochschulring Tübinger Studenten (HTS).<br />

Diese Gruppierung trat zu AstA-Wahlen an und<br />

publizierte rechtsextreme Flugblätter und<br />

Schriften. <strong>Der</strong> HTS arbeitete ab dem Ende der<br />

70er Jahre eng mit der rechtsterroristischen<br />

Wehrsportgruppe Hoffmann zusammen.<br />

Anfang der 80er Jahre kommt es in der BRD zu<br />

einer regelrechten rechtsextremen Terrorwelle<br />

in der Bundesrepublik, was im rechtsblinden<br />

kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik<br />

Deutschland noch weitgehend unterbelichtet ist<br />

und von der Erinnerung an den Terrorismus der<br />

Roten Arme Fraktion verdeckt wird. So<br />

drifteten auch Tübinger Verbindungsstudenten<br />

und HTSler in den Rechtsterrorismus ab. Am<br />

19. Dezember 1980 steigt z.B. Uwe Behrendt<br />

von der Straßburger Arminia zu Tübingen in die<br />

Wohnung des jüdischen Verlegers und<br />

Vorsitzenden der israelitischen Gemeinde in<br />

Nürnberg, Shlomo Levin ein und erschießt<br />

Herrn Levin und seine Lebensgefährtin Frieda<br />

Poeschke aus nächster Nähe. 1<br />

1„Eine Tat um in burschenschaftlicher Tradition seinen<br />

‚Chef’ Hoffmann zu rächen.“<br />

(http://www.nadir.org/nadir/periodika/anarcho_randalia/b<br />

rosche/arb1.htm (Zugriff: 20.10.2005)<br />

Die Straßburger Arminia zu Tübingen - Auch<br />

heute wieder mit Rechtsausschlag<br />

Die 1886 gegründete Burschenschaft Arminia<br />

Strassburg mit Sitz in der Gartenstraße 46 in<br />

Tübingen ist Mitglied im rechten Dachverband<br />

„Deutsche Burschenschaft“ und ist auch heute<br />

noch weit rechts im politischen Spektrum zu<br />

verorten.<br />

Ein Blick auf das auf der Homepage<br />

eingetragene Selbstverständnis der Arminen<br />

lässt eine deutschnationale Grundhaltung<br />

entdecken:<br />

„Wir sind normale deutsche Studenten aller<br />

Fachrichtungen, die an der Eberhard Karls<br />

Universität immatrikuliert sind. Studenten, die<br />

sich ihrer Herkunft nicht schämen. Wir sind<br />

stolz auf unser Land und unsere Demokratie<br />

was sich auch in unserem Wahlspruch Freiheit,<br />

Ehre Vaterland wiederspiegelt.“ 2<br />

Hier wird etwas umständlich der von Rechten<br />

(z.B. Republikanern etc.) gerne benützte Slogan<br />

„Ich bin stolz ein Deutscher zu sein!“<br />

wiedergegeben. Die Frage, wer ein normaler<br />

Deutscher ist, wird beantwortet mit: „Die sich<br />

ihrer Herkunft nicht schämen“. Hier wird in<br />

typisch rechtsextremer Manier angedeutet, es<br />

gebe einen öffentlichen, z.B. durch<br />

„Medienmacht“ erzeugten Druck, der Deutsche<br />

dahingehend manipulieren würde, dass sich<br />

die/der „unnormale“ Deutsche, <strong>als</strong>o die/der<br />

komische, von der Norm abweichende, wenn<br />

2 http://www.arminia-strassburg.de/index.html (Zugriff:<br />

16.12.2004)<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

35


nicht sogar in irgendeiner Weise pathologische<br />

Deutsche, sich andauernd schämen muss und so<br />

an seiner freien, geistigen Entfaltung gehindert<br />

wird. Geschämt wird sich natürlich für den<br />

Holo<strong>ca</strong>ust. Ein richtiger, „normaler“ und<br />

gesunder Deutscher, wie die Arminen es sind,<br />

beugt sich aber nicht, dem aus ihrer Sicht<br />

instrumentalisierten Zwang zur Scham. Diese<br />

Konstruktion von angeblichen Tabus, mit denen<br />

die Deutschen mit Hilfe des Holo<strong>ca</strong>ust<br />

manipuliert und an ihrer Entfaltung gehindert<br />

werden, sind typisch für rechtsextreme Kreise.<br />

Das meiste wird jedoch nur angedeutet (siehe<br />

oben), was KritikerInnen eine eindeutige<br />

Analyse erschwert. Von ähnlich denkenden<br />

Menschen jedoch wird die Botschaft ohne<br />

genauere Ausführungen verstanden.<br />

Doch Deutschsein ist für die Arminen mehr <strong>als</strong><br />

nur eine Einstellung:<br />

„Schließlich verlangt die Burschenschaft von<br />

ihren Mitgliedern den ausdrücklichen Einsatz<br />

für Deutschland.“ 3 […] Wichtig ist allein der<br />

volle Einsatz für die Einheit des deutschen<br />

Volkes in einer freiheitlichen Demokratie.<br />

Dieser gebietet aber auch die Achtung der<br />

Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts<br />

anderer Völker.“ 4<br />

Diese nachgeschobene Phrase vom<br />

„Selbsbestimmungsrecht anderer Völker“ ist<br />

eine für rechtsextreme Kreise typische<br />

Täuschungsphrase. Gemeint wird hier das<br />

Konzept des sogenannten „Ethnopluralismus“,<br />

das sich für normale Staatsbürger zunächst nach<br />

Völkerverständigung anhört. Gemeint ist aber<br />

ein Konzept, dass beinhaltet, dass alle Völker<br />

traditionell, bestimmte angestammte<br />

Kulturräume besitzen oder sich erobert haben.<br />

In denen dürfen sich die, im rechten<br />

Verständnis, genetisch und kulturell<br />

einheitlichen Völker entfalten. Sie dürfen aber<br />

nicht über diese Grenzen hinausgehen<br />

(Migration) oder sich vermischen. Geschweige<br />

denn dürfen sich Grenzen verschieben und<br />

deutsche „Siedlungsräume“, wie z.B.<br />

Ostpreußen abgespalten werden. Ostpreußen<br />

oder andere ehem<strong>als</strong> „deutsche“ Gebiete<br />

3 http://www.arminia-strassburg.de/ueberuns.html<br />

(Zugriff: 16.12.2004)<br />

4 http://www.arminia-strassburg.de/ueberuns.html<br />

(Zugriff: 16.12.2004)<br />

gehören, im Sinne des „Ethnopluralismus“,<br />

wieder durch „vollen Einsatz“ des einzelnen<br />

Mitglieds mit Deutschland wiedervereinigt.<br />

Man fragt sich ja auch: Was ist 16 Jahre nach<br />

der deutschen Wiedervereinigung mit einem<br />

weiteren Einsatz für eine anscheinend noch<br />

ausstehende „Einheit des deutschen Volkes“<br />

gemeint?<br />

Eindeutigeres findet man auf der Homepage des<br />

Dachverbandes der Straßburger Arminen, bei<br />

der „Deutschen Burschenschaft“:<br />

„Die Deutsche Burschenschaft sieht das<br />

deutsche Vaterland unabhängig von staatlichen<br />

Grenzen in einem freien und einigen Europa,<br />

welches Osteuropa einschließt. Sie setzt sich für<br />

eine enge Verbundenheit aller Teile des<br />

deutschen Volkes in Freiheit ein.“ 5<br />

Die Straßburger Arminen sind <strong>als</strong><br />

Mitgliedsbund der deutschen Burschenschaft<br />

ebenfalls diesem Grundsatz verbunden. Auf<br />

ihrer Homepage war ihnen jedoch der Satz mit<br />

der Definition des deutschen Vaterlandes auch<br />

außerhalb der heutigen Staatsgrenzen zu heiß.<br />

In ihrem Zitat der burschenschaftlichen<br />

Grundsätze („Ehre, Freiheit, Vaterland“) wurde<br />

dieser Satz einfach weggelassen. Gültigkeit<br />

besitzt er trotzdem für jede Burschenschaft<br />

innerhalb des Dachverbandes der „Deutschen<br />

Burschenschaft“.<br />

Das Geschichts(zerr)bild der Arminia 6<br />

Das Geschichtsbild der Arminia zeigt sich<br />

deutlich an ihrer Beschreibung der Zeit<br />

zwischen 1933 und 1945. Statt von der<br />

(überwiegend) freiwilligen Selbstauflösung der<br />

studentischen Verbindungen und aktiver<br />

Unterstützung der Nazis (siehe auch unseren<br />

Artikel: „Burschenschaften im dritten Reich“)<br />

ist die Rede von Repression durch die NSDAP:<br />

„Mit der Machtergreifung der NSDAP beginnt<br />

auch die Gleichschaltung der<br />

Studentenverbindungen und so endet die<br />

Selbstständigkeit Arminias 1936, <strong>als</strong> sie mit der<br />

nichtschlagenden A.G. Stuttgardia zur<br />

>Kameradschaft Straßburg< fusionieren<br />

5 http://www.burschenschaft.de (Zugriff 20.10.2005)<br />

6 Die Zitate stammen von http://www.arminiastrassburg.de/bundesgeschichte.html<br />

(Zugriff:<br />

16.12.2004)<br />

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36


muss.“<br />

Obdachlos fristen die Arminen bald ihr Dasein:<br />

„1938 wird das Haus auf dem Österberg<br />

verkauft und Arminia scheint in eine unsichere<br />

Zukunft zu blicken.“<br />

Doch ganz so schlimm kam es dann doch nicht.<br />

Im von Deutschland besetzten Frankreich<br />

bekommt man <strong>als</strong> Begünstigte ein eigenes Haus<br />

zugewiesen:<br />

„Doch 1941 erwächst neue Hoffnung im Kreise<br />

der Arminen. Die Heimatstadt Straßburg – im<br />

Verlaufe des Krieges wieder in deutsche Hand<br />

gelangt – soll den Bund in zukünftige Zeiten<br />

führen. So wird 1941 ein Haus am<br />

Orangeriering 10 erstanden – unweit vom<br />

Stammhaus der Arminen – welches schnell die<br />

neue Heimat des Bundes wird. Schon 1942<br />

werden 11 neue Füxe gekeilt und trotz<br />

Kriegswirren ist ein reges Aktivenleben<br />

möglich.“<br />

Doch lange können die Kriegsgewinnler nicht<br />

verbleiben. Sie werden aus ihrer „Heimat“<br />

„vertrieben“ (oder besser: die Besatzer werden<br />

wieder rausgeschmissen):<br />

„Das Jahr 1944 soll sich <strong>zum</strong> Schicks<strong>als</strong>jahr<br />

für die Straßburger Burschenschaft Arminia<br />

entwickeln. Zwei Bombenvolltreffer zerstören<br />

das Bundeshaus und damit auch viele wertvolle<br />

Couleurgegenstände und das unschätzbar<br />

wertvolle Archiv. <strong>Der</strong> Bund soll sich von diesem<br />

schweren Schlag nie wieder vollends erholen.<br />

Mit dem Einrücken der Amerikaner in<br />

Straßburg werden die Arminen ein zweites Mal<br />

in Ihrer Geschichte aus ihrer Heimatstadt<br />

vertrieben und zerstreuen sich im Nachkriegs-<br />

Chaos in alle Winde.“<br />

Die „armen“ Arminen „ereilt das Schicksal<br />

eines verlorenen Krieges und die daraus<br />

resultierende Vertreibung aus der Heimat.“<br />

Das das französische Alsace auch zu<br />

Deutschland („Heimat“) gerechnet wird lässt<br />

eine völkisch-großdeutsche Haltung erkennen.<br />

Zum Burschenschaftlichen Kränzchen<br />

eingeladen<br />

Im Gegensatz zu den Verlautbarungen anderer<br />

studentischer Verbindungen, die z.T. ebenfalls<br />

im konservativen bis rechtsextremen Bereich<br />

aktiv sind, sich aber <strong>als</strong> „unpolitisch“<br />

bezeichnen, wird bei der Arminia von den<br />

Mitgliedern auch offen politisches Interesse<br />

gefordert:<br />

„Unsere Mitglieder sind angehalten, sich für<br />

Politik zu interessieren und sich eine eigene<br />

politische Meinung, egal welcher Couleur, zu<br />

bilden. Durch diese Forderung unterscheiden<br />

sich Burschenschaften grundlegend von<br />

anderen Studentenverbindungen.“ 7<br />

Im Zusammenhang mit der bereits oben<br />

erwähnten Forderung nach einem<br />

„ausdrücklichen Einsatz für Deutschland“<br />

dürfte klar sein in welche Richtung sich das<br />

Interesse der Arminen bewegt. So ist es auch<br />

wenig verwunderlich, dass die Arminia<br />

rechtsextreme Referenten zu sich einlud. Bisher<br />

sind zwei Vorträge mit rechtsextremen<br />

Referenten bei der Arminia bekannt geworden<br />

auf die auch immer Proteste erfolgten.<br />

Am 24. Juni 2004 hielt der Reutlinger CDU-<br />

Rechtsaußen Klaus Hornung im Rahmen eines<br />

offenen „Burschenschaftlichen Kränzchens“ bei<br />

der Arminia Straßburg ein Referat <strong>zum</strong> Thema<br />

„stickiges sanfttotalitäres Meinungsklima in<br />

Deutschland“ (siehe Anfang: Arminen schämen<br />

sich nicht stolz auf Deutschland zu sein, auch<br />

trotz des „stickigen, sanfttotalitären<br />

Meinugsklimas“). Anwesend waren etwa 40<br />

Zuhörer, darunter Alte Herren, Mitglieder<br />

anderer Verbindungen und Aktivisten, die<br />

diesen Vortrag kritisch besuchten. <strong>Der</strong><br />

emeritierte Professor Hornung ist nicht nur<br />

CDU-Mitglied, sondern auch Mitbegründer der<br />

rechtskonservativen „Konservativen Aktion“<br />

der rechten „Bürgeraktion Gesamtdeutschland<br />

e.V.“ und seit Jahren ist er Präsidiumsmitglied<br />

der rechten Kaderschmiede „Studienzentrum<br />

Weikersheim“. Weikersheim dient <strong>als</strong><br />

Schnittstelle zwischen rechtskonservativen und<br />

rechtsextremen Kräften und nimmt somit eine<br />

wichtige, nicht zu unterschätzende Rolle im<br />

rechten Spektrum Baden-Württembergs ein.<br />

7 http://www.arminia-strassburg.de/ueberuns.html<br />

(Zugriff: 16.12.2004)<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

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Als Referent trat Hornung bereits beim<br />

„Deutschen Seminar“ und bei der rechten Sekte<br />

„Verein zur Förderung der Psychologischen<br />

Menschenerkenntnis“ auf. Autor war er bereits<br />

bei den rechten Blättern „Mut“, „Report“ und<br />

bei der rechten Wochenpostille „Junge<br />

Freiheit“. Im rechtsextremen Tübinger<br />

Hohenrain-Verlag erschien 1985 von ihm das<br />

Buch „Mut zur Wende“.<br />

In seinem Vortrag redet Klaus Hornung am 24.<br />

Juli 2004 über Verschwörungstheorien<br />

bezüglich eines „stickigen sanfttotalitäres<br />

Meinungsklima in Deutschland“. Dabei stellt er<br />

es so dar, <strong>als</strong> ob die „linken 68er“ alles<br />

unterwandert hätten und er schwadroniert über<br />

eine kleine Gruppe, die die ganze Presse<br />

kontrollieren würde.<br />

Weniger <strong>als</strong> ein halbes Jahr später, am 1.<br />

Dezember 2004, hielt Henning Lenthe bei der<br />

Arminia ein Referat <strong>zum</strong> Thema „Brauchtum<br />

der Burschenschaften“. Auch dieser Vortrag<br />

wurde von einem rechtsextremen Referenten<br />

gehalten: Henning Lenthe ist Alter Herr der<br />

rechtsextremen Burschenschaft Danubia<br />

(München), Redakteur der Danuben-Zeitung,<br />

Mitglied des rechten Witikobundes und Reps-<br />

Kandidat für den bayrischen Landtag. Die<br />

Münchner Danubia hatte sogar einmal einem<br />

Nazischläger nach einem Überfall auf einen<br />

31jährigen Griechen im Januar 2001 auf ihrem<br />

Haus versteckt und ihre Referentenliste liest<br />

sich wie ein „Who is who“ im deutschen<br />

Rechtsextremismus. So referierten bei der<br />

Danubia beispielsweise der Theoretiker der<br />

französischen "Neün Rechten", Alain de<br />

Benoist, der Antisemit Martin Hohmann, der<br />

ehemalige RAF-Terrorist und heutige Nazi und<br />

Holo<strong>ca</strong>ustleugner Horst Mahler sowie der<br />

bereits erwähnte Klaus Hornung bei der<br />

"Danubia". Die "Danubia" unterhält unter<br />

anderem Verbindungen zur terroristischen<br />

Nazivereinigung "Kameradschaft Süd" und zu<br />

dem rechten Thinktank "Institut für<br />

Staatspolitik".<br />

Jedoch nicht nur die Straßburger Arminia belebt<br />

ihre rechtsextremen Traditionen neu. Auch bei<br />

der Straßburger Germania dem befreundeten<br />

zweiten Mitgliedsbund der „Deutschen<br />

Burschenschaft“ innerhalb Tübingens scheint<br />

man ein rechtsextremes Vortragsprogramm<br />

auflegen zu wollen. <strong>Der</strong> erste Schritt: Auch die<br />

Straßburger Germanen luden am 19.10.2005, in<br />

Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Christ<br />

und Politik“ des CDU-Kriesverbandes Herrn<br />

Prof. Hornung für einen Vortrag aufs Haus. In<br />

einer Pressemitteilung zu dieser Veranstaltung<br />

stellte ein Sprecher der Antifa Tübingen<br />

folgendes fest:<br />

"Das Zusammentreffen des Rechtsaussens<br />

Hornung und einer Tübinger Burschenschaft<br />

unter Mitarbeit eines CDU-Arbeitskreises stellt<br />

den Versuch der Vernetzung<br />

rechtskonservativer und rechtsextremer Kraefte<br />

auf regionaler Ebene dar. Dem gilt es Einhalt zu<br />

gebieten und entschiedenen Protest<br />

entgegenzusetzen. Klaus Hornung ist kein<br />

Biedermann sondern ein geistiger<br />

Brandstifter". 8<br />

Quellen:<br />

1. http://lexikon.idgr.de/h/h_o/hornungklaus/hornung-klaus.php<br />

2. http://lexikon.idgr.de/b/b_u/burschenschaftdanubia/burschenschaft-danubia.php<br />

3. Indymedia <strong>zum</strong> 01.12.2004:<br />

http://de.indymedia.org//2004/12/100600.shtml<br />

4. Argumente gegen das Hofieren reaktionärer<br />

Seilschaften: http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

8 http://tuebingen.antifa.net/hornung_pe.html (Zugriff:<br />

20.10.2005)<br />

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38


Teil 8: Dachverbände einiger Tübinger Verbindungen<br />

Das politische Spektrum im Verbindungswesen reicht<br />

bis ziemlich weit nach rechts - was aber längst nicht<br />

bedeutet, dass alle Verbindungen rechtsextrem sind.<br />

Die politische Gesinnung einer Verbindung lässt sich<br />

am besten an den Grundsätzen des Dachverbandes<br />

erkennen, dem sie angehört und mit dem sie sich<br />

demnach identifizieren kann. Die wohl bekanntesten<br />

Dachverbände in Deutschland sind die Deutsche<br />

Burschenschaft und der Coburger Convent, in dem<br />

Landsmannschaften und Turnerschaften zusammengeschlossen<br />

sind. Verbindungen gibt es u.a. auch in<br />

konfessionellen Bünden (katholische Verbände und<br />

der Wingolfsbund) und im Dachverband der Corps<br />

(KSCV / WSC). Bei aller Differenzierung zwischen<br />

den Dachverbänden darf aber nicht vergessen werden,<br />

dass die Dachverbände und die einzelnen<br />

Verbindungen sowohl lokal <strong>als</strong> auch bundesweit in<br />

zahlreichen Koordinationsgremien wieder<br />

untereinander verbunden sind. Dann sitzt auch der<br />

“liberalere” Korporierte, der betont, auch ausländische<br />

Freunde zu haben, mit dem ultrarechten<br />

Verbindungsstudenten beim Kommers an einem Tisch<br />

und prostet ihm freundschaftlich zu.<br />

Deutsche Burschenschaft (DB)<br />

(Tübingen: Alte Straßburger Burschenschaft<br />

Germania; Straßburger Burschenschaft Arminia)<br />

Alleine mit Berichten über die Verbindungen im<br />

Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) ließe<br />

sich diese Broschüre problemlos füllen. Immer wieder<br />

stehen Mitglieder der DB aufgrund der Verbreitung<br />

rechtsextremen Gedankenguts in den Schlagzeilen der<br />

Presse und in den Berichten des Verfassungsschutzes.<br />

Wortführend innerhalb der DB ist eine Gruppe, die<br />

sich „Burschenschaftliche Gemeinschaft“ nennt und<br />

seit ihrer Gründung 1961 von kritischen Beobachtern<br />

<strong>als</strong> rechtsextreme Kaderschmiede für den<br />

Hochschulbereich bezeichnet wird. Ein Beispiel ist die<br />

in Aachen ansässige Libertas Brünn, zu deren<br />

Mitgliedern der zu einer mehrjährigen Haftstrafe<br />

verurteilte Naziterrorist Markus Kahlenborn gehörte –<br />

was die anderen Burschenschaften in der DB nicht<br />

davon abhielt, die Libertas Brünn <strong>als</strong> vorsitzende<br />

Burschenschaft an die Spitze des Verbandes zu<br />

wählen.<br />

Insgesamt gehören der DB 120 Burschenschaften mit<br />

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Teil 8: „Dachverbände einiger Tübinger Verbindungen“ - Seite 1 von 4


<strong>ca</strong>. 15.000 Mitgliedern an. Darunter sind neben<br />

einigen chilenischen auch zahlreiche österreichische<br />

Burschenschaften, was aus Sicht der DB nur<br />

konsequent ist. Schließlich wurde auf dem<br />

Burschentag 1995 die Wiedervereinigung der beiden<br />

deutschen Staaten (gemeint waren Österreich und<br />

Deutschland) gefordert. Für die DB endet das deutsche<br />

Staatsgebiet aber auch in Österreich noch nicht. Bei<br />

einem Fackelzug auf die Wartburg am 31.3.1990<br />

forderten Burschenschaftler gar ein Deutschland in<br />

den Grenzen von 1939. In Österreich gilt übrigens die<br />

Deutsche Burschenschaft <strong>als</strong> Sprungbrett für ein<br />

Parteiamt in der F.P.Ö. „Wer sich unter Burschen<br />

bewährt, der schafft es auch in die Politik.“, so F.P.Ö.-<br />

Mitglied Martin Graf (Spiegel Nr. 24, 9.6.1997).<br />

Frauen, Ausländer, Homosexuelle und Kriegsdienstverweigerer<br />

haben in den Burschenschaften, die<br />

der DB angehören, nichts zu suchen. Nachdem eine<br />

Braunschweiger und zwei Hannoveraner<br />

Burschenschaften es tatsächlich „gewagt“ hatten,<br />

Kriegsdienstverweigerer aufzunehmen, wurden sie mit<br />

sofortiger Wirkung aus dem Dachverband<br />

ausgeschlossen. Weitaus weniger distanziert ist<br />

hingegen das Verhältnis der DB <strong>zum</strong> organisierten<br />

Rechtsextremismus. Auf dem Burschentag in Landau<br />

1973 wurde der Antrag der Alemannia Heidelberg,<br />

sich von rechtsextremistischen Organisationen zu<br />

distanzieren, abgelehnt. Es ging darum, „Alte Herren,<br />

die in der NPD sind, nicht zu verlieren.“ Auch<br />

folgendes ist für die politische Einschätzung der DB<br />

aufschlussreich: Als Bayerns Innenminister Beckstein<br />

nach der Verwicklung der Münchner Burschenschaft<br />

Danubia in einen Skinhead-Überfall vor<br />

rechtsextremen Tendenzen in Burschenschaften<br />

warnte, ließ die DB in einer Erklärung verlauten,<br />

Beckstein (CSU) übernehme „linksextreme<br />

Stereotype“. Weiter äußerte die DB große „Sorge über<br />

eine immer weitergehende Einengung politischer<br />

Freiheit im Zeichen eines mehr und mehr auch<br />

staatlich propagierten Antifaschismus“ (Hauptausschuss<br />

der DB am 30.6.2001).<br />

Die Ideologie der DB beinhaltet ein Verständnis von<br />

“Volk”, das das Volk <strong>als</strong> biologischen Körper ansieht.<br />

Auch mit dieser Ansicht befindet sich der<br />

Dachverband im Konsens mit rechtsextremen<br />

Positionen. Wahlspruch der DB ist „Ehre, Freiheit,<br />

Vaterland!“. Das Vaterland begreift die DB dabei laut<br />

Satzung (Artikel 9) erwartungsgemäß „unabhängig<br />

von staatlichen Grenzen“, was sie auch immer wieder<br />

in ihren Beschlüssen bekräftigt. Die Zitatliste ließe<br />

sich noch unendlich fortsetzen. Ob bei der Forderung,<br />

die geplante Haftentschädigung für Wehrmachtsdeserteure<br />

lieber an „Hitlers Frontkämpfer“<br />

auszuzahlen oder beim Feiern des 3. Oktober <strong>als</strong> „Tag<br />

der kleinstdeutschen Einheit“ - die DB ist sich für<br />

keinen Fehltritt in Richtung Rechtsaußen zu schade.<br />

200 Jahre alt und nix dazugelernt ...<br />

Hier ein paar Zitate und Beschlüsse aus den Reihen<br />

der DB, die für sich sprechen: „Die Deutsche<br />

Burschenschaft ist lange Zeit wegen ihrer scharfen<br />

Beschlüsse in der Judenfrage angefeindet worden [...]<br />

Jetzt hat sie die Genugtuung, daß es eine deutsche<br />

Regierung gibt, die den Kampf gegen das Judentum<br />

auf der ganzen Linie aufgenommen hat“.<br />

(Burschenschaftliche Blätter, 1933)<br />

„Die VosDB wendet sich im Namen der DB an den<br />

deutschen Bundestag, die Bundesregierung und die<br />

Länderregierungen mit der Bitte, [....] durch ein<br />

Gesetz alle Medien, Landkarten- und Schulbuchverlage<br />

in der Bundesrepublik Deutschland zu<br />

verpflichten, die völkerrechtlich gültigen Grenzen<br />

Deutschlands vom 31.12.1937 zu zeigen und zu<br />

nennen.“ (Beschluss auf<br />

dem Burschentag 1983 in<br />

Bonn)<br />

„Die DB fordert die<br />

Bundesregierung auf,<br />

unverzüglich ein Konzept<br />

zu entwickeln und zu<br />

realisieren, das die<br />

Deutschen auf dem<br />

Territorium der heutigen<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

auch langfristig vor<br />

Überfremdung schützt.<br />

Es ist dafür Sorge zu<br />

tragen, daß die<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

ein deutscher Staat<br />

bleibt. (Beschluss vom<br />

Burschentag 1984 in<br />

Landau)<br />

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Teil 8: „Dachverbände einiger Tübinger Verbindungen“ - Seite 2 von 4


„Die Deutsche Burschenschaft sieht sich außer<br />

Stande, den 8. Mai [Ende des 2. Weltkriegs, Befreiung<br />

vom Faschismus, Anm. d. Red.] <strong>als</strong> Tag der Befreiung<br />

zu begehen. <strong>Der</strong> Tag der Kapitulation ist für die DB<br />

ein Tag der Besinnung, des Gedenkens und der<br />

Trauer.“ (Beschluss auf dem Burschentag 1985 in<br />

Landau)<br />

„Die DB empfiehlt jedem Mitglied einer<br />

Burschenschaft, bei Adressierung von Postsendungen<br />

in die ehemalige DDR hinter der Ortsbezeichnung<br />

„Mitteldeutschland“ zu setzen. Die DB missbilligt die<br />

seit der Teil-Wiedervereinigung erfolgte unkorrekte<br />

Verwendung der Bezeichnung „Ostdeutschland“ für<br />

Mitteldeutschland, das Gebiet der ehemaligen DDR.“<br />

(Beschluss auf dem Burschentag 1991 in Eisenach)<br />

u r s c h e n s c h a f t s - R e a d e r<br />

<strong>Der</strong> Coburger Convent (CC)<br />

(Tübingen: Landsmannschaft Ghibellinia;<br />

Turnerschaft Hohenstaufia; Landsmannschaft<br />

Schottland; Landsmannschaft Ulmia)<br />

Im Coburger Convent (CC) sind seit 1951 die<br />

akademischen Landsmannschaften und die<br />

Turnerschaften zusammengefasst. Er gehört mit rund<br />

15.000 Mitgliedern (1.800 studentische, 13.200 Alte<br />

Herren) in etwa 100 Studentenverbindungen an 45<br />

Hochschulorten in Deutschland und Österreich zu den<br />

größten farbentragenden und pflichtschlagenden<br />

Dachverbänden. Jedes Mitglied einer CC-Verbindung<br />

muss mindestens 2 Pflichtpartien fechten, bei manchen<br />

Verbindungen ist die Zahl auch höher. Grundsätze des<br />

Verbandes sind „Ehre, Freiheit, Freundschaft,<br />

Vaterland“. <strong>Der</strong> CC versteht sich selbst <strong>als</strong> tolerant,<br />

was bedeutet, dass die Verbindungen im CC<br />

Ausländer, Juden oder Zivis aufnehmen dürfen,<br />

allerdings nicht müssen. Frauen können auf keinen<br />

Fall Mitglied werden. Gleichzeitig werden mit dem<br />

Toleranzprinzip aber auch Kontakte zur<br />

rechtsextremen Szene gerechtfertigt. So schrieb der<br />

ehemalige Reichsfilmintendant Fritz Hippler, der sich<br />

auch für die DVU nahe „Deutsche Nationalzeitung“<br />

<strong>als</strong> Autor betätigt, in den CC Blättern (Nr. 3,<br />

September 1996), es sei eine Unsitte, rechte oder<br />

faschistische Meinungen nicht zu Wort kommen zu<br />

lassen.<br />

In der Satzung des CC ist eine politische Richtung<br />

nicht vorgegeben. Daher reicht das Spektrum im CC<br />

von Verbindungen, die sich selbst <strong>als</strong> unpolitisch<br />

bezeichnen, bis ziemlich weit nach rechts. Auf der<br />

einen Seite gibt es Korporierte, die dazwischengehen,<br />

wenn ein Skinhead in der U-Bahn ausländische<br />

Mitbürger angreift. Auf der anderen Seite macht es im<br />

CC keine Probleme, wenn abends beim Bier „Bomben<br />

über Engeland“ angestimmt wird oder alle drei<br />

Strophen des Deutschlandlieds gesungen werden. Als<br />

Argumentationshilfe für das Singen der drei Strophen<br />

empfahl der CC seinen Mitgliedern (in<br />

Diskussionstipps, Nr. 7): „...weil das ganze Lied die<br />

Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland ist!<br />

[...] Die erste Strophe ist keineswegs verboten [...] Ob<br />

das Lied zu jeder Feier passt, ist eine Frage des<br />

Geschmacks, über den man sich bekanntlich nicht<br />

streiten soll. Wer aber während des Singens<br />

hockenbleibt / Bier trinkt / [...], der provoziert.“<br />

In den letzten Jahren bemüht sich der CC verstärkt<br />

darum, sein Image zu verbessern. So gehört er zu den<br />

Mitunterzeichnern des im Dezember 2000 von der<br />

Stadt und dem Kreis Coburg initiierten Aufrufs gegen<br />

rechte Gewalt, und <strong>zum</strong>indest in der Öffentlichkeit<br />

verzichtet man mittlerweile darauf, die 1. Strophe des<br />

Deutschlandliedes zu singen. Dennoch ist der Bund<br />

offensichtlich nicht dazu bereit, sich von seinen<br />

Rechtsaußen und Scharfmachern zu trennen, sondern<br />

begründet deren Mitgliedschaft mit einer ziemlich<br />

fragwürdigen Auffassung von Liberalität und<br />

Toleranz.<br />

Kartell von Kösener Senioren-Convents Verband<br />

(KSCV) und Weinheimer Senioren-Convent (WSC)<br />

(Tübingen: Corps Rhenania; Corps Franconia;<br />

Corps Borussia)<br />

Beim KSCV / WSC handelt es sich um ein Kartell aus<br />

zwei pflichtschlagenden, farbentragenden Dachverbänden.<br />

In ihm gruppieren sich die Corps, die<br />

politisch eher rechts stehen - auch wenn sie sich selbst<br />

<strong>als</strong> unpolitisch bezeichnen.<br />

Wie viele andere Verbindungen verschweigt und<br />

beschönigt auch der KSCV / WSC dunkle Kapitel<br />

seiner Geschichte. <strong>Der</strong> KSCV schloss <strong>als</strong> einer der<br />

ersten Verbände Juden aus, begrüßte die<br />

Machtübernahme durch die NSDAP und erklärte am<br />

1.6.1933: „Das deutsche Corpsstudententum hat in<br />

einer einmütigen Kundgebung den Willen dargetan,<br />

sich ohne jeden Vorbehalt einzugliedern in die<br />

nation<strong>als</strong>ozialistische Bewegung.“ (ELM / HEITHER /<br />

SCHÄFER 1992, S. 133 f). Auch heute kommt es<br />

noch vor, dass Mitglieder des KSCV / WSC (wie der<br />

Corps Marcommania in Siegen) an Hitlers Geburtstag<br />

Cocktailpartys feiern.<br />

Wingolfsbund<br />

(Tübingen: Wingolf)<br />

Den christlichen Wingolfsbund gibt es an über 30<br />

Hochschulorten in Deutschland. Seine Vorstellungen<br />

und Ideale basieren auf dem christlichen Glauben<br />

(„uns eint das Bekenntnis <strong>zum</strong> Glauben an Jesus<br />

Christus“), daher gehört der Wingolf zu den<br />

nichtschlagenden Verbindungen („<strong>als</strong> Christen lehnen<br />

wir Duell und Mensur für uns ab“). Die anderen<br />

üblichen Unsitten des Verbindungswesens werden<br />

jedoch auch vom Wingolf gepflegt.<br />

„Weltoffenheit, Freundschaft, gegenseitige Achtung,<br />

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Teil 8: „Dachverbände einiger Tübinger Verbindungen“ - Seite 3 von 4


Verantwortungsbewußtsein“- von diesen Tugenden,<br />

die sich der Wingolf heute auf die Fahnen schreibt,<br />

war in der Vergangenheit leider nicht viel zu erkennen.<br />

So unterstützte der Wingolfsbund im Jahre 1919 aktiv<br />

den Kapp-Putsch <strong>zum</strong> Sturz der Weimarer<br />

Demokratie, bei dem er die Bildung eines beweglichen<br />

Stoßtrupps übernommen hatte (ELM / HEITHER/<br />

SCHÄFER 1992). Und in einer gemeinsamen<br />

Erklärung von Wingolf, Deutscher Burschenschaft und<br />

anderen studentischen Bünden im Jahre 1927 kamen<br />

rassistische Elemente deutlich <strong>zum</strong> Ausdruck: „Die<br />

dem Deutschen Volkstum im Grenz- und Auslande<br />

drohenden Gefahren verlangen eine unbedingte<br />

Reinerhaltung der Hochschulen und<br />

Studentenschaften von volksfremden Elementen, um<br />

die Lebensfähigkeit des Deutschtums in diesen<br />

Gebieten zu wahren.“ (ebd., S. 118)<br />

Vor diesem Hintergrund ist der unbekümmerte<br />

Umgang des Wingolf mit seiner Vergangenheit<br />

ziemlich erschreckend. „<strong>Der</strong> Wingolf hat eine lange<br />

Tradition, auf die wir stolz sind und die wir bewahren<br />

und weitertragen wollen“, ist auf der Homepage zu<br />

lesen. Eine kritischere Einstellung zur eigenen<br />

Geschichte und eine Aufarbeitung dieser wäre<br />

sicherlich angebrachter.A S<br />

t A U n i H a m b u r g<br />

Cartellverband der katholischen deutschen<br />

Studentenvereine (CV)<br />

(Tübingen: A.V. Cheruskia; A.V. Guestfalia)<br />

<strong>Der</strong> CV gehört mit <strong>ca</strong>. 32.000 Mitgliedern (davon <strong>ca</strong>.<br />

6.000 Studierende und 26.000 Alte Herren) in 127<br />

Verbindungen zu den größeren deutschen<br />

Dachverbänden. Nur katholische Männer werden <strong>als</strong><br />

Mitglieder aufgenommen. Einige CV-Verbindungen<br />

verweigern auch Ausländern die Mitgliedschaft. <strong>Der</strong><br />

CV gilt <strong>als</strong> Kaderschmiede für rechte Politiker.<br />

Beispielsweise begann Bayerns Ministerpräsident<br />

Edmund Stoiber, der in der Vergangenheit durch seine<br />

Maisingen auf dem Tübinger Holzmarkt<br />

“Warnung vor einem durchrassten Deutschland”<br />

äußerst negativ aufgefallen ist, seine Laufbahn in einer<br />

Münchener CV-Verbindung. Die Verbindungen im<br />

CV sind farbentragend, lehnen das Fechten aber ab, da<br />

es im Widerspruch zu den Gesetzen der katholischen<br />

Kirche steht. Die Prinzipien der Verbindungen sind<br />

Religio (Glaube), Scientia (Wissenschaft), Amicitia<br />

(Freundschaft) und Patria (Heimatliebe). <strong>Der</strong><br />

katholische Glaube ist Basis der Lebensgestaltung,<br />

gemeinsame Gottesdienstbesuche gehören <strong>zum</strong><br />

Programm.<br />

Kartellverband katholischer deutscher<br />

Studentenvereine (KV)<br />

(Tübingen: K.St.V. Rechberg; K.St.V. Alamannia)<br />

<strong>Der</strong> KV unterscheidet sich vom CV durch den<br />

Anfangsbuchstaben und durch die Ablehnung des<br />

Farbentragens. Bundesweit gehören ihm 80<br />

Verbindungen mit 16.000 Mitgliedern an. Die<br />

Prinzipien (mit Ausnahme der “Heimatliebe”) sind<br />

identisch mit denen des CV, ebenso wie die<br />

Verankerung im Katholizismus.<br />

Akademischer Turnerbund (ATB)<br />

(Tübingen: A.T.V. Arminia)<br />

<strong>Der</strong> nichtschlagende und nicht-farbentragende<br />

Akademische Turnerbund wurde 1883 in Jena<br />

gegründet und sieht sich in der Tradition studentischer<br />

Verbindungen. Aufnahmebedingungen für Mitglieder<br />

gibt es scheinbar nicht. Alle weiteren Unsitten des<br />

studentischen Brauchtums werden aber auch von<br />

diesem Verband gepflegt.<br />

Bildnachweise:<br />

1.www.tagblatt.de<br />

2.nicht mehr auffindbar<br />

3.www.tagblatt.de<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 8: „Dachverbände einiger Tübinger Verbindungen“ - Seite 4 von 4


Teil 9: Liste TÜbinger studentischer Verbindungen<br />

Spruch Besonderheiten<br />

Schlagend Mitglieder<br />

Farbentragend<br />

Verbindung Adresse<br />

Verband<br />

Links zu: RCDS-TÜbingen,Deutschland-<br />

Bewegung (A. Mechtersheimer), GÖttinger<br />

Kreis - Studenten fÜr den Rechtstaat e.V.<br />

m Freiheit, Ehre, Vaterland<br />

Ja<br />

1*Pflicht<br />

Ja<br />

Neckarhalde 47 - 72070 TÜbingen -<br />

www.germania-strassburg.de<br />

Alte Stra¿burger<br />

Burschenschaft<br />

Germania<br />

Stra¿burger<br />

Burschenschaft<br />

Arminia<br />

Landsmannschaft<br />

Ghibellinia<br />

Turnerschaft<br />

Hohenstaufia<br />

Landsmannschaft<br />

Schottland<br />

Landsmannschaft<br />

DB<br />

m Freiheit, Ehre, Vaterland<br />

Ja<br />

1*Pflicht<br />

Ja<br />

Gartenstra¿e 46 - 72074 TÜbingen -<br />

www.arminia-strassburg.de<br />

DB<br />

Ja<br />

m Freundschaft, Ehre, Vaterland<br />

2*Pflicht<br />

Ja Ja, 2*Pflicht m Unita, virtus, Valer Wohnheim gebaut<br />

Ja<br />

m Amicita, honos, virtus<br />

Ja<br />

2*Pflicht<br />

Ja<br />

2*Pflicht<br />

Ja<br />

m Ehre - Freiheit - Eintracht<br />

K.-G. Kiesinger, Heiner Gei¿ler,Konrad<br />

Adenauer<br />

Religio, Scientia, Amicitia In fide<br />

firmitas!<br />

Religio, Scientia, Amicitia Nova et<br />

Vetera<br />

m<br />

Katholiken<br />

m<br />

Katholiken<br />

Nein<br />

Wohnheim<br />

Nein<br />

Ja<br />

Nein, aber<br />

Bierzipfel<br />

Nein, aber<br />

Zipfelbund<br />

CV-GauverbÄnde<br />

Scientia, amicitia, religio Virtuti<br />

omnia parent!<br />

m<br />

Katholiken<br />

Ja Nein<br />

Gartenstra¿e 51 - 72074 TÜbingen -<br />

CC<br />

www.ghibellinia-tuebingen.de<br />

Stauffenbergstra¿e 12/1 - 72074 TÜbingen -<br />

CC<br />

www.hohenstaufia.de<br />

Schwabstra¿e 20 - 72074 TÜbingen -<br />

CC<br />

www.schottland-tuebingen.de<br />

Stauffenbergstra¿e 10/1 - 72074 TÜbingen -<br />

CC<br />

Ulmia<br />

www.landsmannschaft-ulmia.de<br />

Biesingerstra¿e 15 - 72070 TÜbingen -<br />

KV K.St.V. Alamannia<br />

www.alamannia.de<br />

StÖcklestra¿e 36 - 72070 TÜbingen -<br />

KV K.St.V. Rechberg<br />

www.rechberg.de<br />

Matthias-Koch-Weg 12 - 72074<br />

CV A.V. Cheruskia TÜbingenhomepages.unituebingen.de/cheruskia<br />

CV-GauverbÄnde Eugen Bolz<br />

Freundschaft, Religion,<br />

WissenschaftIn amicitia fortes et<br />

hilares<br />

concordia firmat fortesunus pro<br />

omnibus et omnes pro uno<br />

m<br />

Katholiken<br />

Ja Nein<br />

Stauffenbergstra¿e 25 - 72074 TÜbingen -<br />

www.guestfalia-tuebingen.de<br />

CV A.V. Guestfalia<br />

Stauffenbergstra¿e 4 - 72074 TÜbingen -<br />

KSCVCorps Rhenania<br />

Ja Ja m<br />

www.rhenania-tuebingen.de<br />

¶sterbergstra¿e 16 - 72074 TÜbingen -<br />

Ja<br />

KSCVCorps Franconia Ja<br />

m Honor et virtus amicitia fides<br />

www.franconia-tuebingen.de<br />

5*Pflicht<br />

¶sterbergstra¿e 12 - 72074<br />

Ja<br />

KSCVCorps Borussia<br />

Ja<br />

m<br />

TÜbingenborussia-tuebingen.de/neu<br />

3*Pflicht<br />

Kleiststra¿e 12 - 72074 TÜbingen -<br />

Corps Suevia<br />

Homepage nur fÜr Mitglieder<br />

www.feldhockey.com<br />

WB Wingolf Gartenstra¿e 38 - 72072 TÜbingen Ja Nein m Di henos panta InternetprÄsenz nicht erreichbar<br />

Alte Turnerschaft<br />

Das Herz gehÖrt dem Vaterland !<br />

Auf dem Kreuz 26 - 72076 TÜbingen -<br />

Ebarhardina-<br />

Ja Ja m (Eberhardina)Per aspera ad astra!<br />

www.eberhardina.de<br />

Markomannia<br />

(Markomannia)<br />

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Teil 9: „Liste TÜbinger studentischer Verbindungen“ - Seite 1 von 2


Farben-<br />

Verbindung Adresse<br />

Schlagend<br />

tragendMit-<br />

Spruch Besonderheiten<br />

glieder<br />

Burschenschaft Gartenstra¿e 3 - 72074 TÜbingen -<br />

Ja<br />

Ja<br />

m Ehre - Freiheit - Vaterland!<br />

Germania www.bixier.de<br />

1*Pflicht<br />

SÄngerschaft Doblerstra¿e 22 - 72074 TÜbingen - www.<br />

Ja Ja, fakultativ m Concordia, libertas, honor<br />

HohentÜbingen geocities.com/Eureka/Gold/7597/index.htm<br />

A.M.V. Hirschauer Stra¿e 18 - 72070 TÜbingen -<br />

Nein Nein m Amico, litteris et patriae<br />

Stochdorphia www.stochdorphia.de<br />

V.D.St. zu<br />

Furchtlos und treu mit Gott fÜr<br />

Wilhelmstra¿e 98 - 72074 TÜbingen Nein Nein m<br />

InternetprÄsenz nicht erreichbar<br />

TÜbingen<br />

Volk und Vaterland<br />

Alte Turnerschaft Schwabstra¿e 16 - 72074 TÜbingen -<br />

Ja Ja, fakultativ m Honor, virtus, amicitia<br />

Palatia www.palatia.de<br />

¶sterbergstra¿e 14 - 72074 TÜbingen -<br />

Universitas, virtus, gaudium „Neue“ statt Fuxen; Frauen seit 1991<br />

A.G. Stuttgardia Nein Nein w+m<br />

www.stuttgardia.de<br />

Hoch Stuttgardia allzeit!<br />

gleichberechtigte Mitglieder<br />

A.V. Albertus Collegiumsgasse 5 - 72070 TÜbingen -<br />

Deo et amico (fÜr Gott und den Katholische Theologenverbindung; Frauen<br />

Nein Nein w+m<br />

Magnus www.albertus-magnus.com<br />

Freund)<br />

seit 1995; kein eigenes Haus<br />

Frondsbergstr. 17-72070 TÜbingen<br />

Freundschaft, Glaube,<br />

LÖsten sich 1971<strong>als</strong> SpÄtfolge der 68-er<br />

A.V. FÖhrberg<br />

Nein Nein w+m<br />

www.av-foehrberg.de<br />

Wissenschaft<br />

auf, NeugrÜndung 1980, kein Saufen<br />

Schlossbergstra¿e 7 - 72070 TÜbingen -<br />

A.V. Igel<br />

Nein Nein m Telorum aeterna seges<br />

www.avigel.de<br />

Nein, aber<br />

Vivat, cres<strong>ca</strong>t, floreat - furchtlos<br />

A.V.<br />

Schlossbergstra¿e 9 - 72070 TÜbingen - farbenfÜhrend<br />

Nein m und treu - Hie gut WÜrttemberg Fuxen-Burschen-Status abgelegt<br />

Virttembergia www.virtembergia.de<br />

(Bierzipfel,<br />

allweg<br />

Anstecknadel)<br />

TÜbinger KÖnigs- Burgsteige 20 – 72070 TÜbingen -<br />

Wissenschaftlicheit, Geselligkeit,<br />

Ja Nein m<br />

Fuxenzeit unbekannt<br />

gesellschaft Roigelwww.koenigsgesellschaft-roigel.de<br />

Sittlichkeit<br />

Verbindung Stauffenbergstra¿e 21 - 72074 TÜbingen -<br />

Ja Nein m vigor virtus libertas Kein Fux-Burschen-VerhÄltnis<br />

Normannia www.normannia-tuebingen.de<br />

Postfach 192372009 TÜbingen<br />

Homepage nicht auffindbar; kein eigenes<br />

A.V. Laetitia<br />

Nein Nein w Vivat amicitia nostra!<br />

members.aol.com/unitue/laetitia.htm<br />

Haus<br />

Verband<br />

SK<br />

DS<br />

SV<br />

VVDS<br />

t<br />

MK<br />

ATB eigener Landesverband im Deutschen<br />

Turnerbund<br />

Nein m Furchtlos und treu!<br />

Nein, aber<br />

farbenfÜhren<br />

(Zipfelbund und<br />

Verbandsnadel)<br />

Hauffstra¿e 16 - 72074 TÜbingen<br />

www.atv-arminia.de<br />

ATB A.T.V. Arminia<br />

Einer fÜr Alle, Alle fÜr<br />

Einen!Ehre, Freiheit, Vaterland!<br />

m<br />

Judo seit<br />

1969<br />

Ja<br />

Schlossbergstra¿e 5 - 72070 TÜbingen<br />

www.derendingia.de<br />

Burschenschaft<br />

<strong>Der</strong>endingia<br />

KV - Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine - www.kartellverband.de<br />

MK - Marburger Konvent - www.marburger-konvent.de<br />

SK - SÜddeutsches Kartell - www.sueddeutscheskartell.de<br />

SV - SonderhÄuser Verband Akademisch-Musikalischer Verbindungen - www.sv.org<br />

VVDSt - Verband der Vereine Deutscher Studenten - www.vdst.net<br />

WB - Wingolfsbund - www.wingolf.org<br />

ATB - Akademischer Turnbund - www.atb.net<br />

CC - Coburger Convent - www.coburger-convent.de<br />

CV - Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbind. www.<strong>ca</strong>rtellverband.de<br />

DB - Deutsche Burschenschaft - www.burschenschaft.de<br />

DS - Deutsche SÄngerschaft (Weimarer CC) - www.deutsche-saengerschaft.de<br />

KSCV - KÖsener Senioren-Convents-Verband - www.die-corps.de<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in TÜbingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 9: „Liste TÜbinger studentischer Verbindungen“ - Seite 2 von 2


Teil 10: Das kleine Korporierten-ABC<br />

abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des AStA der Uni Düsseldorf<br />

Aktivitas: Bund der Aktiven einer Verbindung. Dazu<br />

zählen Füxe, aktive und inaktive Burschen. Wählt 3 bzw.<br />

5 Chargierte in die Ämter der Aktivenschaft.<br />

Alter Herr (AH, Mehrzahl AHAH): Ehemaliges<br />

Mitglied der Aktivitas. Nach dem Studium wechseln<br />

Verbindungsmitglieder in die Altherrenschaft ihrer<br />

Verbindung.<br />

Altherrenschaft: Zusammenschluss der nicht mehr<br />

studierenden Mitglieder einer Verbindung.<br />

Bestimmungsmensur: s. Mensur.<br />

Bundesbruder: Anrede unter Angehörigen eines<br />

Bundes.<br />

Bursche: Vollberechtigtes Mitglied einer Verbindung<br />

(im Gegensatz <strong>zum</strong> Fux). Häufig wird unterschieden<br />

nach aktiven/inaktiven Burschen. Bei der Burschung legt<br />

der Fux den Burscheneid ab, mit dem er sich zur<br />

lebenslangen Treue der Verbindung gegenüber<br />

verpflichtet. <strong>Der</strong> Begriff „Bursche” wird nicht nur<br />

innerhalb der Deutschen Burschenschaft, sondern auch<br />

bei Corps, Landsmannschaften, katholischen<br />

Verbindungen etc. benutzt. Wahrscheinlich rührt von<br />

daher der häufig vorfindbare Irrtum, alle Korporationen<br />

seien „Burschenschaften”.<br />

Burschenschaft(en): Fälschlicherweise oft <strong>als</strong><br />

Sammelbegriff für studentische Verbindungen/<br />

Korporationen gebraucht. <strong>Der</strong> Begriff meint einen<br />

bestimmten Korporationstyp, insbesondere den<br />

Dachverband “Deutsche Burschenschaft” (DB).<br />

Cartell (Kartell): Das vielfach vertraglich fixierte<br />

Verhältnis gleicher oder verwandter (befreundeter)<br />

Verbindungen. Häufig bis <strong>zum</strong> gemeinsamen (Dach-)<br />

Verband ausgestaltet.<br />

Charge: Amt oder Würde.<br />

Chargierte: Aus der Verbindung gewählte Inhaber von<br />

Ehrenämtern, in der Regel Senioren oder Sprecher<br />

(Erstchargierter), Consenior oder Fechtwart<br />

(Zweitchargierter), Sekretär oder Schriftführer<br />

(Drittchargierter).<br />

Comment: Gesamtheit der Regeln für das studentische<br />

Brauchtum, etwa für Umgang, Kneipe, Mensur etc.<br />

Convent: Versammlung der Mitglieder einer<br />

Verbindung, aber auch von Vertretern verschiedener<br />

Verbindungen, die sich auf irgendeine Weise (etwa <strong>zum</strong><br />

Dachverband) zusammengeschlossen haben.<br />

Corps: Älteste, aus studentischen Landsmannschaften<br />

des 17. und 18. Jahrhunderts hervorgehende und sozial<br />

häufig privilegierten Verbindungen. Farbentragend und<br />

schlagend, lehnen konfessionelle und politische<br />

Bindungen <strong>als</strong> Verbandsprinzip ab. D.h. nicht, dass sie<br />

unpolitisch sind.<br />

Couleur: Farben <strong>als</strong> Merkmal der Zusammengehörigkeit<br />

innerhalb der Verbindungen. Dient <strong>als</strong> Ausdruck des<br />

Bekenntnisses zu deren Grundsätzen und Idealen und zur<br />

Unterscheidung von anderen Verbindungen und<br />

Nichtkorporierten.<br />

Couleurdame: Offiziell von einer Verbindung<br />

annoncierte Frau, die regelmäßig zu Veranstaltungen<br />

eingeladen wird.<br />

Ehrenrat: Organ eines Bundes zur Schlichtung von<br />

Streitigkeiten zwischen Bundesbrüdern.<br />

Fink: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vorherrschende<br />

Bezeichnung für nichtkorporierte Studenten.<br />

Fux (Fuchs): Student während der ersten beiden<br />

Semester seiner Zugehörigkeit zu einer Verbindung. <strong>Der</strong><br />

Fux steht in der Verbindungshierarchie auf der untersten<br />

Stufe, unter den Burschen und den Alten Herren. In der<br />

Fuxenstunde wird der Fux in das Verbindungsleben<br />

eingeführt.<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 10: „Das kleine Korporierten-ABC“ - Seite 1 von 2


Fuxmajor (Fuchsmajor): älterer Verbindungsstudent,<br />

aufgrund seiner Erfahrung für Anleitung, Unterricht und<br />

Betreuung der Füxe verantwortlich.<br />

Inaktiver: Bursche, der nach 4 bis 6 Semestern der<br />

aktiven Zugehörigkeit zu einer Verbindung inaktiviert,<br />

d.h. von Verpflichtung entlastet wird. <strong>Der</strong> Status <strong>als</strong><br />

Inaktiver endet mit dem Studium und dem Eintritt in die<br />

Altherrenschaft.<br />

Kameradschaft: Studentische Gemeinschaft in der Zeit<br />

des Nation<strong>als</strong>ozialismus. Viele Verbindungen wurden ab<br />

1935 in Kameradschaften umgewandelt.<br />

Keilen: So bezeichnen die Verbindungen ihre<br />

Nachwuchswerbung. In vielen Verbindungen werden<br />

eigens „Keilwarte”, „Keilkommissare” etc. mit der<br />

Systematisierung der Nachwuchswerbung betraut.<br />

Kneipe: Gesellige Trinkveranstaltung von<br />

Verbindungsstudenten und /oder Alten Herren, die nach<br />

bestimmten Regeln durchgeführt wird.<br />

Kommers: Festliches, aus bestimmten Anlässen (z.B.<br />

Gründungsjubiläum) und nach schriftlich fixierten<br />

Regeln veranstaltetes Trinkgelage, an dem Gäste<br />

(Frauen) teilnehmen können und „Landesvater<br />

gestochen” bzw. „Salamander gerieben” werden.<br />

Kommersbuch: Sammlung studentischer Lieder.<br />

Korporation: Oberbegriff für eine Gemeinschaft von<br />

Studenten und Akademikern, die sich auf der Basis<br />

bestimmter Grundsätze und Formen auf Lebenszeit<br />

zusammenschließen (Prinzip des Lebensbundes). In der<br />

Regel <strong>als</strong> Männerbund. Synonym für Korporationen:<br />

Verbindungen.<br />

Landesvater: Traditionelle Zeremonie mit Gesang,<br />

Schlägern und Mützen auf dem Kommers.<br />

Ehrung ursprünglich für den Landesvater und für<br />

Vaterland, Hochschule oder Verbindung.<br />

Landsmannschaft: Gemeinschaft von Studenten, die<br />

aus dem gleichen Land bzw. der gleichen Gegend<br />

stammen. Landsmannschaften waren vom 16. bis <strong>zum</strong><br />

frühen 19. Jahrhundert die vorherrschende Form<br />

studentischer Zusammenschlüsse.<br />

Lebensbund: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

allgemeines Prinzip studentischer Korporationen.<br />

Lebenslange Mitgliedschaft.<br />

Leibbursch: Bezeichnung für einen Burschen, der von<br />

einem Fux gewählt worden ist, um diesen in die<br />

Verbindung einzuführen. Pendant: Leibfux.<br />

Mensur: Zweikampf unter Studenten mit scharfen<br />

Waffen, der durch bestimmte Vorkehrungen rechtlich<br />

und moralisch vom Duell <strong>als</strong> Zweikampf mit tödlichen<br />

Waffen unterschieden wird.<br />

Bestimmungs-Mensur: Die durch Verbandsregelungen<br />

für Mitglieder einer schlagenden Verbindung<br />

obligatorische Mensur.<br />

Partie: Bezeichnung für die gesamte Mensur.<br />

Pauken: Mensuren fechten. Teilnehmer sind die<br />

Paukanten.<br />

Philister: Synonym für Alter Herr, aber auch im weiteren<br />

Sinne: Nicht-Student.<br />

Salamander: Salamander reiben - Zeremonie bei<br />

Trinkgelagen, die <strong>als</strong> höchste Ehrung nach dem Comment<br />

einem Anwesenden erwiesen werden kann.<br />

Satisfaktion: Genugtuung zur Beilegung eines<br />

Ehrenstreits. Satisfaktion mit der Waffe (Duell) oder<br />

durch Unterwerfung unter dem Spruch des Ehrengerichts.<br />

Schlagend, schlagende Verbindung: Verbindung, die<br />

Mensuren austrägt (auch: waffenstudentische<br />

Verbindung)<br />

Schmiss: Gesichtnarbe, die von einer beim Mensuren-<br />

Schlagen verursachten Verletzung herrührt. Galt früher<br />

durchgängig und heute z.T. noch <strong>als</strong> Ehrenzeichen.<br />

Senior: Vorsitzender, Sprecher der Aktiven einer<br />

Verbindung.<br />

Urburschenschaft: Die zwischen 1811 und 1819<br />

entstandene Bewegung zur Erneuerung der studentischen<br />

Gemeinschaftsformen, im engeren Sinne: die am 12. Juni<br />

1815 in Jena gegründete Burschenschaft.<br />

Verbindung: s. Korporation.<br />

Vorort: Zur Leitung eines Dachverbandes auf eine<br />

bestimmte Zeit gewählte Verbindung.<br />

Wichs: Galakleidung. Festliche Aufmachung des<br />

Verbindungsstudenten, insbesondere beim Kommers, bei<br />

Umzügen und bei Feiern.<br />

Zipfel: Von den Besitzern zur Vermeidung von<br />

Verwechslungen an die Bierkrüge gehängte Stoffstücke.<br />

Oft auch Freundschaftsgeschenke unter Verbindungsstudenten<br />

(Bierzipfel, Weinzipfel, Sektzipfel, letzter für<br />

Frauen).<br />

Zirkel: Ursprünglich geheimes Erkennungszeichen von<br />

Ordensbrüdern, heute Signum einer Verbindung, das bei<br />

der Unterschrift hinter den Namenszug gesetzt wird.<br />

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Teil 10: „Das kleine Korporierten-ABC“ - Seite 2 von 2


Teil 11: Pressespiegel<br />

Pressestimmen zu den Ereignisse am 1. Mai und dem Dies Universitatis der letzten Jahre<br />

Schwäbisches Tagblatt, 30. April/1. Mai 1998<br />

<strong>Der</strong> Mai war im Kommen - Tübingens Korporierte<br />

und ihre Gegner schwärmten aus<br />

TÜBINGEN. Zahlreich trafen sich Korporierte und<br />

deren Gegner/innen in der Nacht <strong>zum</strong> 1. Mai auf dem<br />

Tübinger Holzmarkt. An rund 250 Fackeln hielt sich<br />

die Burschenlust fest, eine gleich hohe Zahl<br />

Maisänger/innen ließ sich von den hästragenden Füxen<br />

und Leibburschen den Weg durch die dunklen Gassen<br />

leuchten. Auf der Gegenseite fanden sich gut 2 500<br />

Leute zusammen. Eine rote Fahne der Fachschaft<br />

Geschichte und das obligatorische Pfeifkonzert<br />

bildeten deren sicht- und hörbares Gegengewicht.<br />

Anfangs noch gut bei Stimme sangen die<br />

Burschenschafter „Die Gedanken sind frei“, ließen<br />

jedoch ausgerechnet beim Mailied von Emanuel<br />

Geibel Harmonieverständnis, Treffsicherheit und<br />

Textkenntnis gehörig vermissen. Als besonders<br />

gemein erwiesen sich die Fenstergucker in der<br />

Pfleghofstraße. Erst <strong>als</strong> sich die Zipfel- und<br />

Mützentragenden auf dem Rückzug zu ihren Hoch-<br />

Burgen befanden, schütteten die Bewohner eimerweise<br />

Wasser aus den Fenstern. Sollten sie etwa den zuvor<br />

auf dem Holzmarkt sich in freudiger Sangeslust<br />

übenden Korporierten mißverstanden haben? „I’m<br />

singing in the rain“, kam es ihm dort, zwar aus<br />

einsamer, aber aus voller Burschenbrust. (ede)<br />

(http://www.cityinfonetz.de/tagblatt/archiv/1998/maisi<br />

ngen/)<br />

***<br />

Vorgeschichte: Uni Tübingen, 10.11.2000:<br />

Bekanntmachung eines verbindungskritischen<br />

Vortrages:<br />

Alexandra Kurth (Marburger Projekt "Konservatismus<br />

und Wissenschaft") wird über Verbindungen und<br />

Burschenschaften <strong>als</strong> Think Tanks rechter Ideologie<br />

und Verbindungsglieder zwischen Konservatismus und<br />

Faschismus referieren.<br />

Ort: Uni Tübingen, Raum und Zeit werden noch<br />

rechtzeitig bekanntgegeben<br />

Kein Uni-Raum für die PDS:<br />

TÜBINGEN (kek). Ein Vortrag über<br />

Burschenschaften am Samstag hätte die erste<br />

Veranstaltung der PDS-Hochschulgruppe an der<br />

Universität Tübingen werden sollen. Doch nach einer<br />

Raumzusage von Rektor Eberhard Schaich machte<br />

dieser einen Rückzieher. Jetzt klagt die PDS gegen die<br />

Entscheidung. ----<br />

Schwäbisches Tagblatt, 10.11.2000<br />

Uni muss PDS Raum geben<br />

Die 8. Kammer des Sigmaringer Verwaltungsgerichts<br />

hat gestern beschlossen, dass die PDS-<br />

Hochschulgruppe eine Veranstaltung mit dem Titel<br />

"Einig gegen Recht und Freiheit - die Deutschen<br />

Burschenschaften" in den Räumen der Universität<br />

abhalten darf. Mit dieser einstweiligen Anordnung<br />

wird der ablehnende Bescheid der Universitätsleitung<br />

aufgehoben. Rektor Eberhard Schaich hatte seine<br />

ursprüngliche Zusage wieder zurückgenommen.<br />

"Weder lassen sich aus diesem Titel werbende<br />

Elemente für die Partei PDS erkennen, noch sind<br />

Tatsachen ersichtlich, aufgrund derer geschlossen<br />

werden müsste, die Veranstaltung würde zur<br />

kämpferischen politischen Hetze gegen die Deutschen<br />

Burschenschaften missbraucht", heißt es in dem<br />

Gerichts-Beschluss. <strong>Der</strong> Vortrag findet um 19 Uhr im<br />

Hörsaal 6 der Neuen Aula statt.<br />

***<br />

Schwäbisches Tagblatt online, 18.10.2001<br />

Gegen Farbentragen auf dem Campus<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 11: Pressespiegel - Seite 1 von 8


Ob mit oder ohne Farben: Keinen Fußbreit den<br />

Studentenverbindungen<br />

TÜBINGEN. "keinen Fußbreit..." <strong>Der</strong> Wortlaut obiger<br />

Überschrift prangte heute Abend auf einem<br />

Transparent über dem Haupteingang der Neuen Aula<br />

der Tübinger Universität. Davor versammelten sich an<br />

die 300 Demonstranten, um in einer Kundgebung<br />

gegen die Universitätsleitung zu protestieren, die<br />

Mitgliedern von Studentenverbindungen erlaubt, in der<br />

Universität (Verbindungs-)Farbe zu bekennen.<br />

Sie bricht damit, wie mehrere Redner beklagten,<br />

Nachkriegstradition. Denn aufgrund der Verstrickung<br />

der Studenentenbünde mit den Nazis hat der Senat der<br />

Eberhard-Karls-Universität 1949 und, in<br />

abgeschwächter Form, 1961 solche Bekundungen auf<br />

dem Campus untersagt.<br />

Als vor einem Jahr die katholische Verbindung<br />

Guestfalia mit einer Klage vor dem<br />

Verwaltungsgericht drohte, versuchte das Rektorat<br />

einen Mittelweg zu finden in der Absicht, am<br />

Universitätstag ein harmonisches Nebeneinander in<br />

der Neuen Aula zu bewirken. Dafür sollten die<br />

Verbindungsstudenten auf alle Beigaben zu den<br />

farbigen Bändeln (Fahnen, Kappen, Degen,<br />

Stulpenstiefel) und die politischen Gruppen auf<br />

jegliches Flugblatt verzichten.<br />

Gegen den Maulkorb des Rektorats wetterten in einer<br />

dialogischen Ansprache Silke Ruoff und Andrea Pabst<br />

von der LiStA (Linke StudentInnen-Assoziation)<br />

ebenso wie gegen reaktionäre und elitäre Orientierung<br />

in Verbindungen. Frank Wehinger von der PDS-<br />

Hochschulgruppe erinnerte insbesondere an die<br />

verleugnete NS-Vergangenheit der studentischen<br />

Bünde und Bruni Muhr vom <strong>AK</strong>- Stellenstreichungen<br />

leitete von der Farbenvielfalt über zu einem Plädoyer<br />

für Fächervielfalt an der Universität.<br />

Was junge Leute in rechtskonservative<br />

Männergemeinschaften zieht, trieb Philipp Weber (auf<br />

dem Bild auf der nächsten Seite) zur Erheiterung auch<br />

einiger mit Bändel gekennzeichneten Studenten<br />

kabarettistisch auf die Spitze. Trotz alledem sah man<br />

danach in der Neuen Aula so viele Verbindungsfarben<br />

wie noch nie bei solcher Gelegenheit. Allein ein<br />

Fünftel der Informationsstände in den Fluren waren in<br />

korporierter Hand.<br />

***<br />

Schwäbisches Tagblatt, 18. Oktober 2002<br />

Infostände, Marktatmosphäre und "ALDI"<br />

Beim Dies gab's die Wahl zwischen offiziellem und<br />

alternativem Möglichkeiten-Markt<br />

Zum Abschluss des Dies Universitatis hatten die<br />

Erstsemester die Qual der Wahl - besuchen sie den<br />

offiziellen Dies in der Neuen Aula oder sein<br />

alternatives Pendant im Clubhaus? Nach der<br />

offiziellen Begrüßung quollen die Massen aus dem<br />

Festsaal.<br />

Rund 60 Gruppen umwarben an ihren Ständen den<br />

Nachwuchs. Von Freikirchen bis <strong>zum</strong> Muslimischen<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 11: Pressespiegel - Seite 2 von 8


Studentenverein reichte die religiöse Bandbreite,<br />

Linux User und akademische Skifahrer stellten sich<br />

vor. Diverse farbentragende Burschenschaften lockten<br />

mit Sekt und freien Zimmern - ihrem wahrscheinlich<br />

schlagendsten Argument.<br />

Doch einige Stände blieben in diesem Jahr leer -<br />

Gruppen wie die Linke StudentInnen-Assoziation oder<br />

die Jusos wiesen mit Transparenten auf ihren neuen<br />

Standort hin: Gegenüber im Clubhaus, beim<br />

Alternativen Dies, kurz: ALDI. Organisiert von Räte<br />

VV und linken Gruppen stand er unter dem Motto:<br />

Vielfalt statt Uniform. Die Veranstalter protestierten<br />

so gegen die Entscheidung des Rektors, das<br />

Farbentragen am Dies wieder zuzulassen und gegen<br />

die "altertümlichen Konventionen". Ihr Wunsch: eine<br />

"offenere Uni".<br />

(http://www.cityinfonetz.de/das.magazin/2002/42/artik<br />

el4.html)<br />

***<br />

Schwäbisches Tagblatt, 04.05.2003<br />

Schaich: Nicht wissen macht nichts<br />

Uni-Rektor forderte beim Verbindungsfestakt im Uni-<br />

Festsaal einen neuen Anfang<br />

TÜBINGEN. Für Universitäts-Rektor Eberhard<br />

Schaich war es der Versuch eines "neuen Anfangs",<br />

für das "Bündnis gegen das Hofieren reaktionärer<br />

Seilschaften" handelte es sich um eine neue Qualität<br />

der Anbiederung. <strong>Der</strong> Arbeitskreis Tübinger<br />

Verbindungen lud am Samstagabend <strong>zum</strong> Festakt in<br />

die Neue Aula. Schaich sprach vor rund 300 Zuhörern,<br />

darunter zahlreiche Burschenschaftler in vollem<br />

Wichs, ein Grußwort. Studentische Kritiker durften<br />

nicht in den Festsaal. Sie informierten vor der<br />

Veranstaltung in einem Hörsaal und diskutierten mit<br />

Verbindungsleuten. Das Thema von Festredner Prof.<br />

Michael Erhardt lautete "scientia est potentia" (Wissen<br />

ist Macht). Doch nicht alle konnten die Rede des<br />

ehemalige Berliner Wissenschaftssenator hören.<br />

Während drinnen das Instrumental-Ensemble der<br />

Tübinger Musikschule aufspielte, saß das Häuflein<br />

Kritiker vom studentischen "Bündnis gegen das<br />

Hofieren reaktionärer Seilschaften" geknickt vor dem<br />

Clubhaus. Eigentlich hatte der Zusammenschluss von<br />

Asta-Leuten und linken Hochschulgruppen im Festsaal<br />

protestieren wollen. "Kritische Stimmen müssen<br />

draußenbleiben", regte sich einer von ihnen auf.<br />

Nichtwissen machte in diesem Fall wenig: Den<br />

Vortrag hatten sie sich bereits im Internet besorgt. <strong>Der</strong><br />

Andrang der Verbindungsleute begann eine Stunde vor<br />

Beginn des Festaktes. Im Café gegenüber kippten<br />

Burschenschaftler Weizenbier, vor der Neuen Aula<br />

patroullierten ein paar Korporierte blass und nervös<br />

rauchend. Etwa 50 Neugierige hörten in Hörsaal eins<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 11: Pressespiegel - Seite 3 von 8


dem Links-Bündnis zu und hörten auch Basis-Infos:<br />

"Nur zwei Verbindungen lassen Frauen zu." Insgesamt<br />

gebe es um die 30 Verbindungen in Tübingen, davon<br />

acht schlagende. Für Bündnis-Sprecher Tobias<br />

Kaphegy sind Verbindungs-Feierlichkeiten in<br />

zentralen Hochschul-Räumen an anderen<br />

Universitäten unüblich. "Das ist keine Normalisierung,<br />

sondern ein Sonderfall der Uni Tübingen", sagte der<br />

Politologe. Kulturwissenschaftler Matthias Möller<br />

sprach von "Doppelmoral". Laut einem internen<br />

Hochschulgutachten würden Tübinger Verbindungen<br />

außerhalb der Hochschule stehen. Doch: "Gleichzeitig<br />

profitieren die Verbindungen von den<br />

Vergünstigungen für studentische Gruppen." Möller<br />

lieferte eine "Chronologie der Normalisierungen" seit<br />

Oktober 1998. Unter anderem hatte die<br />

Hochschulleitung die Verbindungs-Farben am "Dies<br />

universitas" zugelassen. "Mittlerweile sind Bändel<br />

erlaubt, aber verbindungskritische Inhalte bleiben<br />

verboten", kritisierte das Bündnis. Durch das<br />

"Hofieren der Verbindungen" werde das<br />

Studierendenmilieu "polarisiert wie in den letzten<br />

zehn, 15 Jahren nicht mehr", fand Möller. Und<br />

Kaphegy sah in der gemeinsamen Einladung von<br />

Festakt-Veranstaltern und Hochschul-Pressestelle eine<br />

"neue Qualität". In der Info-Veranstaltung saßen<br />

<strong>zum</strong>indest ein Dutzend Verbindungsleute. Ein<br />

Sprecher aus dem "Verband alter Tübinger<br />

Wingolfiten und Nibelungen", der zu dem Festakt<br />

eingeladen hatte, regte sich auf: "Warum nennt man<br />

uns nicht tolerant? Wir geben uns alle Mühe und laden<br />

zu Parties ein." In der Diskussion sagte er auch: "Von<br />

den...[...weiter] Seite 2 ... Ereignissen beim Kapp-<br />

Putsch haben wir uns schon lange distanziert." Droben<br />

liefen derweil die Gäste ein. Wie berichtet, hatte OB<br />

Brigitte Russ-Scherer ihr Grußwort abgesagt, nachdem<br />

die schlagenden Verbindungen auf das Maisingen<br />

bestanden hatten. <strong>Der</strong> Festakt war nicht-öffentlich,<br />

doch Medien waren ausdrücklich eingeladen. In der<br />

Praxis sah das so aus: Die Deutsche Presseagentur<br />

durfte rein, der Reporter vom Alternativ-Sender<br />

"Wüste Welle" musste trotz Presseausweis<br />

draußenbleiben. Im Festsaal war kein Protest zu sehen.<br />

Zwischen den Zuhörer/innen saßen grüppchenweise<br />

Verbindungsleute mit roten, blauen, grünen und<br />

orangen Mützen. Das Links-Bündnis verhandelte<br />

erfolglos am Eingang. Im Vorfeld hatte ihnen die Uni-<br />

Verwaltung signalisiert, auch sie könnten zuhören.<br />

Davon wollten die Burschenschaftler nichts wissen.<br />

Sie hätten den Saal gemietet, übten sie das Hausrecht<br />

aus. "Das gab es meines Wissens seit 1932 nicht<br />

mehr." Klaus Kalliga von der "Alten Turnerschaft<br />

Palatia" begrüßte im Festsaal "Aktive und alte Herren<br />

des überwiegenden Teils der Tübinger Verbindungen<br />

in der Prunkstube der Universität". Nach einem<br />

Rückblick über 200 Jahre Burschenschafts-Geschichte<br />

warb Kalliga für Zusammenarbeit zwischen<br />

Universität und Verbindungen. "Unsere Verbindung<br />

zur Universität ist intakt." Auch Regierungspräsident<br />

Hubert Wicker saß unter den Zuhörenden. Uni-Rektor<br />

Eberhard Schaich sprach das Grußwort: "Diese<br />

Universität ist für dieses wie für andere Feste offen.<br />

Ich möchte der Rektor einer Universität sein, an der<br />

der gegenseitige Respekt von Gruppierungen<br />

dominiert." Für Schaich sind Argumente "die einzige<br />

zulässige Waffe". <strong>Der</strong> Rektor sagte auch: "Es ist Zeit<br />

geworden, die Distanz und Entfremdung zwischen<br />

Verbindungen und Universität zu hinterfragen. Es ist<br />

Zeit, einen neuen Anfang zu wagen." Dann skizzierte<br />

er die Rolle der Verbindungen im NS-Staat. "Die<br />

nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Hilfstruppen der Universität sind<br />

dam<strong>als</strong> die Studierenden gewesen,<br />

die die Hakenkreuzfahne hissten",<br />

so Schaich. Die Beziehung der<br />

studentischen Verbindungen <strong>zum</strong><br />

Nation<strong>als</strong>ozialismus sei "höchst<br />

vielschichtig" gewesen, es habe<br />

weder einhellige Zustimmung noch<br />

Ablehnung gegeben. "Uns allen ist<br />

es aufgegeben, mit unserer<br />

Geschichte zu leben", sagte der<br />

Uni-Rektor. Er äußerte sich auch<br />

<strong>zum</strong> Maisingen: "Ich habe den<br />

Eindruck, dass das denjenigen<br />

besonders ans Herz gewachsen ist,<br />

die lautstark dagegen protestieren."<br />

Seiner Ansicht nach ist das<br />

Maisingen "rechtens, aber<br />

entbehrlich". (Text: Matthias<br />

Reichert)<br />

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Teil 11: Pressespiegel - Seite 4 von 8


***<br />

Schwäbisches Tagblatt, 17.10.2003<br />

Markt der Möglichkeiten mal zwei<br />

Gleich an zwei Tagen lockte der (oder die) Dies<br />

Universitatis vor allem neue Studierende, die<br />

Angebote der Universität, der studentischen Gruppen<br />

und auch von nicht-akademischen Institutionen zu<br />

erkunden.<br />

Höhe- und Schlusspunkt war wie jedes Jahr am<br />

Donnerstag die sogenannte Studentenfete nach der<br />

Begrüßung der Neuimmatrikulierten. Dort stellten sich<br />

studentische Gruppen vor, unter anderem auch die<br />

Verbindungen. Dass die Farbenträger wieder<br />

öffentlich an der Universität auftreten, hat schon im<br />

Vorjahr die Fachschaftsräte-Vollversammlung auf den<br />

Plan gerufen. Aus Protest dagegen organisierten sie<br />

ein paar Meter weiter, in der Mensa Wilhelmstraße,<br />

einen alternativen Dies Universitatis, bei dem sich<br />

ebenfalls studentische Gruppen untermalt von<br />

Tanzvorführungen und Musik präsentierten.<br />

***<br />

Schwäbisches Tagblatt, 01.05.2004<br />

Das diesjährige Maisingen endete unentschieden<br />

Auch im zweiten Jahr hat sich die neue "Lo<strong>ca</strong>tion" des<br />

Maisingens bzw. Maipfeiffens in der Doblerstraße<br />

bestens bewährt. Nahezu perfekt lief dieser "Tübingen-<br />

Event" in der Mainacht unter der Regie des<br />

Ordnungsamt ab, so dass niemand dem alten<br />

Austragungsort auf dem Holzmarkt nachtrauerte.<br />

Pünktlich um Mitternacht zogen an die 150 <strong>zum</strong> Teil<br />

farbentragende Studiosi unter dem Schein von Fackeln<br />

die Österbergtreppe hinunter. In der Kurve der<br />

Doblerstraße unterhalb des Gerichtsgebäudes nahmen<br />

sie sodann auf exakt festgelegter Position Aufstellung.<br />

Weiter unten, auf Höhe der Kreissparkasse, hatte sich<br />

die gut zehnfache Menge an "Gegendemonstranten"<br />

hinter von Popkonzerten bestens bekannten<br />

Sicherheitszäunen eingefunden. Vereinzelt flogen<br />

Gegenstände bergaufwärts. Sie landeten jedoch<br />

allesamt in der orchestergrabenartigen Pufferzone.<br />

Dann hub der alljährliche Sängerwettstreit an. Die<br />

Korporierten eröffneten mit "<strong>Der</strong> Mai ist gekommen",<br />

gefolgt von "Die Gedanken sind frei". Die Gegenseite<br />

antwortete mit Pfiffen, Schreien und Trillerpfeifen und<br />

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Teil 11: Pressespiegel - Seite 5 von 8


intonierte dann "Die Internationale". <strong>Der</strong> Sängerkrieg<br />

endete schließlich unentschieden. Zwar schlug der<br />

Lautstärkepegel deutlich zugunsten der Massen unten<br />

am Schimpfeck aus, in Sachen<br />

Textsicherheit hatten jedoch die Sänger<br />

oben am Berg die Nase vorn.<br />

Nach knapp 20 Minuten war dann alles<br />

bereits zu Ende. Die akademischen<br />

Sangesbrüder machten sich auf den<br />

geordneten Rückzug in die<br />

Verbindungshäuser auf dem Österberg.<br />

Die Bereitschaftspolizisten fuhren mit<br />

Blaulicht in einer beeindruckenden<br />

Fahrzeugkolonne wieder heim in ihre<br />

Kaserne. Und auch die<br />

"Gegendemonstranten" kehrten wieder<br />

dahin zurück, woher die meisten wohl<br />

auch gekommen waren - in die Kneipen<br />

der Tübinger Altsstadt. (Text/Bilder: E.<br />

Sommer)<br />

***<br />

Schwäbischen Tagblatt, 03.05.2004<br />

Arbeit an der Tradition<br />

Maisingen mit Festnahmen und Karaoke<br />

Tübingen (pme). Es gab neun Festnahmen. Davon<br />

abgesehen war das diesjährige Maisingen eine<br />

friedliche Traditionsaufrechterhaltung auf Seiten der<br />

Verbindungen wie der Demonstranten und<br />

Schaulustigen.<br />

Hunderte von Menschen waren am Fuß der<br />

Doblerstraße zusammengekommen, riefen "Kommt<br />

endlich runter" und "Burschis raus". Einer, der auf der<br />

f<strong>als</strong>chen Veranstaltung war, rief sogar "Willkommen<br />

Estland!"<br />

Kurz vor 24 Uhr wurde es doch etwas ruppig:<br />

Mehreren Demonstranten war es gelungen, trotz<br />

Bewachung der Polizei eine Sitzblockade auf den<br />

Stufen neben der Justizvollzugsanstalt einzurichten.<br />

Sie hielt zehn Minuten. Dann schritt die Polizei ein,<br />

räumte nicht gerade zimperlich und bracht neun<br />

Personen zur erkennungsdienstlichen Behandlung aufs<br />

Polizeipräsidium, wo ihnen ein Verfahren wegen<br />

Nötigung und Widerstand gegen die<br />

Vollstreckungsbeamten angekündigt wurde. Ein<br />

Zwischenfall, der dem Happening-Charakter der<br />

Veranstaltung aber nichts anhaben konnte. Die<br />

Demonstranten können ja auch recht zufrieden sein<br />

mit dem geschichtlichen werdegang des Maisingens:<br />

Einst fand es auf dem Marktplatz statt. dann wurde es<br />

auf den Holzmarkt verlegt. Weil die Gegendemo-<br />

Veranstalter mit der Anmeldung ihres Protests<br />

schneller waren (so stellen es vornehmlich die<br />

Demonstranten selbst dar) und weil die Sicherheit in<br />

der Doblerstraße auch besser und mit weniger<br />

Einsatzkräften gewährleistet werden konnte (so sieht<br />

begeistertes Maisingen 2004 am 'traditionsreichen'<br />

Ort<br />

es die Stadt), lief das Maisingen letztes Jahr und heuer<br />

eben dort ab.<br />

Unbestreitbar wandert <strong>als</strong>o das Maisingen allmählich<br />

in östlicher Richtung aus der Stadt an die Peripherie.<br />

UNd man versteht die jährlich gesungene Frage "Wer<br />

weiß, wo in der Ferne/ Mein Glück mir noch blüht;/ Es<br />

gibt so manche straße/ Da nimmer ich marschiert"<br />

(aus: "<strong>Der</strong> Mai ist gekommen"). Diese und andere<br />

Burschenschaftslieder waren auch auf dem Hozmarkt<br />

zu hören, wo eine gegenveranstaltung nach dem<br />

Doblerstraßenspuk einen Karaoke-Wettbewerb<br />

organisiert hatte.<br />

***<br />

de.indymedia.org, 02.05.2004<br />

Tübinger Maisingen 2004: Jede/R kanns besser!<br />

Das Maisingen reaktionärer Tübinger<br />

Burschenschaften und Verbindungen findet seit <strong>ca</strong>. 20<br />

Jahren in der Nacht auf den ersten Mai statt. Hunderte<br />

Burschen torkeln <strong>als</strong> uniformierter Fackelzug vom<br />

Österberg auf den Holzmarkt ins Zentrum der Altstadt,<br />

um dort durch das Gröhlen dreier Liedchen den Mai zu<br />

begrüßen –<strong>zum</strong> Glück hat der sich noch nie davon<br />

abschrecken lassen und begann trotzdem immer<br />

pünktlich um Mitternacht.<br />

Genauso regelmäßig waren in der Vergangenheit auch<br />

die Proteste gegen diese deutschtümmelnde<br />

Veranstaltung: hunderte Menschen begleiteten,<br />

bepfiffen und bewarfen in den vergangenen Jahren die<br />

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Teil 11: Pressespiegel - Seite 6 von 8


Korporierten und sorgten dafür, dass diese<br />

Veranstaltung jedes Jahr auch den größten<br />

Polizeieinsatz Tübingens für sich beansprucht.<br />

Das allmählich <strong>zum</strong> Ritual werdende Spektakel konnte<br />

im Jahr 2001 erstm<strong>als</strong> durch das frühzeitige Anmelden<br />

einer Gegenkundgebung auf dem Holzmarkt<br />

verhindert werden. Im Jahr darauf waren die Burschis<br />

ein bisschen schneller mit Anmelden – dafür wurden<br />

sie durch eine Blockade behindert und viel altes<br />

Gemüse wechselte die Seiten. Im letzten Jahr waren<br />

die Burschen-GegnerInnen wieder schneller und das<br />

Maisingen wurde deshalb vom Holzmarkt in die<br />

Doblerstrasse verlegt. Die Stadt zeigte sich dam<strong>als</strong><br />

gesprächsbereit und interessiert daran, das Maisingen<br />

mittelfristig loszuwerden, weshalb auf eine eigene<br />

Kundgebung auf dem Holzmarkt verzichtet wurde.<br />

Trotzdem demonstrierten spontan 400-600 Menschen<br />

gegen deutschtümmelnde Männerbünde.<br />

Von solch einer Gesprächsbereitschaft war in diesem<br />

Jahr keine Rede mehr. Die im letzten Jahr von der<br />

Stadt zugesagten Bemühungen, auf eine Absage des<br />

Maisingens hinzuwirken, waren vergessen –<br />

stattdessen wurden vermummte Spezialeinheiten in die<br />

Stadt geholt die auch im angeblich so liberalen<br />

Tübingen auf Proteste nicht anders <strong>als</strong> mit Gewalt und<br />

Schikanen reagieren um das Maisingen von <strong>ca</strong>. 150<br />

Korporierten in der Doblerstraße durchzusetzen.<br />

Während sich die schlechte Kopie auf dem Österberg<br />

auf ihren Abgang vorbereitete, war das echte<br />

Maisingen der „Fakultativ prügelnden Sängerschaft<br />

Karaokia“auf dem Holzmarkt vor der Stiftskirche<br />

längst in vollem Gange. Aus zwei Lautsprechern<br />

schepperte seit <strong>ca</strong>. 23 Uhr die<br />

Alleinunterhalterkeybordversion von „<strong>Der</strong> Mai ist<br />

gekommen“ in Endlosschleife. Zwei „Füchse“ gingen<br />

mit gutem Beispiel voran und schafften kaum alle<br />

sechs Strophen bis sich die ersten aus dem Publikum<br />

ans Mikro trauten. Nachdem zweihundert Meter weiter<br />

die billige Kopie von Buhrufen übertönt worden war,<br />

steigerte sich die Sangeswut auf dem Holzmarkt noch,<br />

die kopierten Liedtexte fanden reißenden Absatz unter<br />

der mittlerweile <strong>ca</strong>. hundertköpfigen<br />

SängerInnenschaft und beflissen wurde nach der<br />

richtigen Textzeile gefragt. Über das Mikro beugten<br />

sich jetzt gleichzeitig bis zu sechs Köpfe. Selbst die<br />

Gebärdensprachenversion vom zur Abwechslung<br />

intonierten „Kleinen Matrosen“ wurde mit viel<br />

Inbrunst aufgeführt. So schallten fast zwei Stunden die<br />

verschiedensten Versionen des Liedes durch die Stadt.<br />

Am Infostand wurden gleichzeitig <strong>Reader</strong> über das<br />

Verbindungswesen und Burschenschaften verteilt und<br />

bereitwillig den Ortsunkundigen der Weg zur<br />

Doblerstraße gewiesen (vorbei an der Gemüsekiste).<br />

Gegen Ende gabs noch Feuerkunst und ein<br />

gesangliches „fade out“ des mittlerweile längst<br />

angekommenen Monat Mai.<br />

Und da die Linken mal wieder pünktlich waren und<br />

die ersten beim Anmelden des Maisingens auf dem<br />

Holzmarkt, hieß es <strong>zum</strong> Schluss „bis <strong>zum</strong> nächsten<br />

Jahr“!<br />

ERGÄNZUNG:<br />

Sitzblockade auf dem Stufen zur Doblerstraße mit 9<br />

Festnahmen: Als die Burschenschaftler kurz vor 24<br />

Uhr den Österberg heruntergekommen waren, und die<br />

Stufen zur Doblerstraße betraten, gelang es mindestens<br />

9 Personen einer größeren Gruppe von<br />

GegendemonstratInnen, trotz Bewachung der Stufen<br />

durch die Polizei, eine Sitzblockade auf den Stufen<br />

durchzuführen. Es dauerte <strong>ca</strong>. 10 Minuten, bis die<br />

Sitzblockade geräumt war. Dabei wurden 9 Personen<br />

inhaftiert und mit auf das Tübinger Polizeipräsidium<br />

genommen. Dort wurden sie unter dem Vorwurf der<br />

Nötigung einer erkennungsdienstlichen Behandlung<br />

unterzogen. Erst gegen 5 Uhr morgens wurde die letzte<br />

Person wieder entlassen.<br />

GegendemonstrantInnen unter den singenden<br />

Burschschaftlern: Als die Burschen die Treppe<br />

bergabwärts zur Doblerstraße betraten, mischten sich<br />

<strong>ca</strong>. 15 GegendemonstrantInnen unter sie und liefen<br />

pfeifend und „1. Mai –Burschenfrei“ rufend mit die<br />

Stufen hinab. Auch während des Maisingens blieben<br />

sie pfeifend unter den singenden Burschen, und kamen<br />

anschließend mit ihnen wieder die Treppen nach oben<br />

gelaufen. Die Burschen trauten sich nicht, gegen die<br />

Störung vorzugehen, die Polizei war mit der Situation<br />

sichtlich überfordert.<br />

Mehrere Hundert GegendemonstrantInnen und<br />

Schaulustige am Lustnauer Tor: Wie schon im<br />

vergangenen Jahr waren am Lustnauer Tor wieder<br />

einige Hundert Menschen versammelt, die mit einem<br />

lauten Pfeifkonzert das Maisingen unhörbar machten.<br />

Dabei kam es auch immer wieder zu Eier- und<br />

Gemüsewürfen über die Polizeiabsperrungen hinweg.<br />

Insgesamt ist es mit diesen Aktionen ein weiteres Mal<br />

gelungen, das Maisingen aktiv zu stören und mit<br />

Nachdruck ein Ende dieses reaktionären Brauches zu<br />

fordern.Dass es dabei in diesem Jahr <strong>zum</strong> ersten Mal<br />

zu Verhaftungen kam, ist bedauerlich, wir halten die<br />

Maßnahmen der Polizei für übertrieben und erinnern<br />

an die Sitzblockade vor 2 Jahren, wo es <strong>ca</strong>. 50<br />

Protestierenden gelang, am Lustnauer Tor den<br />

Burschen den Weg zu versperren, wobei die Polizei<br />

besonnen und deeskalierend reagierte, ohne Personen<br />

festzunehmen.<br />

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Teil 11: Pressespiegel - Seite 7 von 8


***<br />

Schwäbisches Tagblatt, 22.10.2004<br />

Dies und Dies ließ sich wieder nicht unter einem<br />

Universitatis-Dach vereinen<br />

TÜBINGEN. Alle reden vom Dies. Dies ist die<br />

Kurzform für Dies Universitatis. Dies wiederum ist<br />

Akademiker-Latein und heißt soviel wie<br />

Universitätstag. Er wird einmal im Jahr veranstaltet,<br />

stets zu Beginn des Wintersemesters. Nach dem letzten<br />

Krieg fanden an diesem Tag hochkarätige Einübungen<br />

in den neuen demokratischen Alltag statt, berühmte<br />

Gelehrte führten an diesem Tag vor großer Kulisse das<br />

Wort. Im Umfeld der 1968er Zeit hatte der Dies so viel<br />

Staub angesammelt, dass er sanft dahindämmerte und<br />

entschlief. 1998 wurde er zur Förderung des<br />

Zusammengehörigkeitsgefühls wiederbelebt und<br />

etablierte sich mittlerweile zur ständigen Einrichtung,<br />

die von den 14 Fakultäten der Tübinger Universität<br />

verschieden gefüllt wird. Hier Podiumsdiskussionen,<br />

Festvorträge, Antrittsvorlesungen, dort<br />

Erstsemesterbegrüßungen, Promotionspreise,<br />

Rundgänge, Animationen. Vorneweg diesmal ein<br />

kämpferischer hochschulpolitischer Auftakt mit Rektor<br />

Eberhard Schaich und transzendentalphilosophische<br />

Überlegungen von Ernst Tugendhat (wir berichteten in<br />

unserer gestrigen Ausgabe), hinterher wie immer ein<br />

Markt der studentischen Gruppen in den Fluren der<br />

Neuen Aula. Zumindest offiziell angekündigt war nur<br />

ein Markt. Tatsächlich knirscht es seit dem zweiten<br />

Dies Universitatis. Weil Mitglieder studentischer<br />

Verbindungen mit Bändeln und teils auch mit Mützen<br />

in den Farben ihrer Bünde auftraten, kam es <strong>zum</strong><br />

Konflikt. Linke Gruppen wiesen auf einen alten<br />

Senatsbeschluss, der solches Auftreten auf dem<br />

Campus untersagt und beklagten das Verbot,<br />

verbindungskritische Flugblätter verteilen zu dürfen. In<br />

den folgenden Jahren verschärfte sich der Dissens, in<br />

der Konsequenz kam es 2002 <strong>zum</strong> ersten alternativen<br />

Dies Universitatis (AlDi) im Clubhaus. Voriges Jahr<br />

zogen die Alternativen in die Mensa, heuer mussten<br />

sie, weil die Mensa nicht zu kriegen war, wieder ins<br />

Clubhaus ausweichen. Ehe dort ein Fest mit<br />

verschiedenen Gruppen startete, verlasen zwei<br />

Vertreter der AlDi-Veranstalter (Fachschaftsräte-VV,<br />

Lista und Solid-Hochschulgruppe) die aus ihrer Sicht<br />

„Chronologie der Anbiederung“ der Hochschulleitung<br />

an die Verbindungen. <strong>Der</strong>weil stauten sich in den<br />

Fluren der Aula die Studierenden vor den Info-<br />

Tischen. Die Bier und Sekt ausschenkenden<br />

Herrschaften in Couleur warben in einem Eck der<br />

ersten Etage, im anderen und parterre präsentierte sich<br />

eine große bunte Vielfalt an kulturellen, politischen,<br />

sportlichen und religiösen Gruppen. jol/Bild: Metz<br />

Bildnachweis: 1, 2, 4, 6: Tagblatt/E. Sommer; 3:<br />

eigenes Bild; 5: de.indymedia.org<br />

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Teil 11: Pressespiegel - Seite 8 von 8


Entschließung des Großen Senats der Universität Tübingen über die studentischen<br />

Gemeinschaften vom 22. Februar 1961<br />

1) Die Universität erblickt in den studentischen Gemeinschaften (Vereinigungen,<br />

Verbindungen, Hochschulgruppen und sonstigen Zusammenschlüssen) eine Möglichkeit<br />

studentischen Zusammenlebens und studentischer Selbsterziehung. Sie verlangt von<br />

ihnen, dass sie sich der sittlichen, politischen und sozialen Verantwortung der<br />

Studierenden bewusst sind und sich danach verhalten. Sie erwartet, dass die<br />

Gemeinschaften ihre Erziehungarbeit im Geiste der Universität durchführen.<br />

2) Die Gemeinschaften und ihre Mitglieder haben die Entscheidung des Grundgesetzes<br />

für eine freiheitliche demokratische Grundordnung, für Frieden und für<br />

Völkerverständigung zu achten. Toleranz und geistige Aufgeschlossenheit, besonders<br />

gegenüber Angehörigen anderer Nationen, anderer Rassen und anderer Bekenntnisse,<br />

sind selbstverständliches Gebot.<br />

3) <strong>Der</strong> Wert einer Gemeinschaft beruht nicht auf äußeren Formen und Traditionen,<br />

sondern auf dem Geist, der das Gemeinschaftsleben prägt.<br />

Für einen besonderen studentischen Ehrbegriff und alle daraus hergeleiteten<br />

Auffassungen und Handlungen ist in unserer Zeit kein Raum mehr.<br />

4) In der Öffentlichkeit haben die Gemeinschaften und ihre Mitglieder diejenige<br />

Zurückhaltung und Disziplin zu wahren, die das Ansehen der Universität und die<br />

Rücksichtnahme gegenüber der Gesamtheit der Studierenden wie auch aller übrigen<br />

Mitbürger erfordern.<br />

5) Farben werden in der Universität, ihren Kliniken, Instituten und Seminaren sowie<br />

auf dem Gelände der Universität (einschließlich des Schollplatzes) nicht getragen;<br />

Gleiches gilt für gemeinsame Veranstaltungen der Universität und der<br />

Studentenschaft.<br />

6) Die Universität ist bereit, studentischen Gemeinschaften, die sich an diese<br />

Grundsätze halten, Rat und Hilfe zu gewähren. Um die persönliche Verbindung<br />

zwischen dem Lehrkörper der Universität und den Gemeinschaften zu verstärken, wird<br />

diesen empfohlen, dem Rektoramt ein Mitglied des Lehrkörpers zu benennen, das ihr<br />

besonderes Vertrauen genießt.<br />

7) Das Rektoramt kann eine Gemeinschaft um Vorlage ihrer Satzung sowie um<br />

Mitteilung ihrer Mitglieder und ihres Vorstandes ersuchen. <strong>Der</strong> Vorstand soll sich<br />

dem Rektor auf dessen Wunsch vorstellen. Die Gemeinschaften sollen dem Rektoramt<br />

ihr jeweiliges Semesterprogramm bekanntgeben.<br />

8) Die Universität wird solchen Gemeinschaften, die nach ihren Zielen oder nach dem<br />

Verhalten ihrer Mitglieder, gegen diese Grundsätze verstoßen, ihre Missbilligung<br />

aussprechen und in schweren Fällen ihr Vertrauen entziehen. Hierüber entscheidet<br />

der Kleine Senat. <strong>Der</strong> Entzug des Vertrauens muss bekannt gegeben werden.<br />

9) <strong>Der</strong> Kleine Senat wird ermächtigt, ergänzende Richtlinien zu erlassen und über<br />

Ausnahmen zu entscheiden. Er entscheidet auch, falls sich Zweifel bei der Auslegung<br />

und Anwendung dieser Entschließung ergeben.<br />

10) Die Gemeinschaften teilen die Anerkennung dieser Grundsätze dem Rektoramt mit.<br />

11) Diese Entschließung tritt an die Stelle der Entschließungen des Großen Senats<br />

vom 10. Oktober 1949 und vom 26. Januar 1957.<br />

<strong>AK</strong> <strong>Clubhausia</strong> - <strong>Reader</strong> zu studentischen Verbindungen in Tübingen - http://clubhausia.fsrvv.de/<br />

Teil 12: „Senatsbeschluss vom 22. Februar 1961 über die studentischen Gemeinschaften“

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